Assur – dies ist der Name eines Gottes, einer Stadt und der einst mächtigen assyrischen Nation. Ein Name, der vor vielen Jahrhunderten in den Ländern des Vorderen Orients Angst und Schrecken ausgelöst haben muss. Die Könige Assyriens regierten mit brutaler Gewalt und dehnten ihr Reich bis nach Ägypten aus. Assur war die erste Hauptstadt des assyrischen Reiches. Doch obwohl die Könige ihren Regierungssitz später nach Nimrud und zuletzt nach Ninive verlegten, blieb Assur das religiöse Zentrum, was durch die Bauaktivitäten der neuassyrischen Könige bezeugt ist, wie zum Beispiel durch das Festhaus Sanheribs (um 700 v. Chr.).
König Tukulti-Ninurta I. (1244 bis 1208 v. Chr.) vermauerte in seinem Ischtar-Tempel zahlreiche Gründungsurkunden. Die Inschriften enthalten den Namen des Bauherrn sowie viele Angaben über die Geschichte Assyriens.
In der Bibel wird Assur nur als Synonym für Assyrien verwendet, die Stadt selbst wird nicht erwähnt. Dafür aber die Herrscher, die in der alten Hauptstadt ihre Spuren hinterlassen haben.
Als Gebietsbezeichnung taucht Assyrien schon im Schöpfungsbericht auf: »Der dritte Arm ist der Tigris, der östlich von Assyrien fließt«(1. Mose 2,14). Dann erscheint Assur in 1. Mose 10,11: Nimrod dehnte »sein Reich bis nach Assyrien aus, wo er Ninive, Rehobot-Ir und Kelach sowie Resen – das zwischen Ninive und Kelach gelegen ist – erbaute.« Nimrod wird mit der Gründung etlicher Städte in Mesopotamien in Zusammenhang gebracht; historisch sind diese Ereignisse in der Frühzeit der Menschheitsgeschichte jedoch schwer zu erfassen.
Erst später, als Assyrien zur Großmacht wurde und Israel zum geteilten Reich geworden war, gibt es deutliche Querverbindungen zwischen biblischen Berichten und der assyrischen Geschichtsschreibung. Hauptsächlich das Nordreich Israel hatte immer wieder Berührungspunkte mit dem aufsteigenden Weltreich:
853 v. Chr. kämpfte König Ahab in einer Koalition zwölf vorderasiatischer Staaten gegen den assyrischen Herrscher Salmanassar III. Dieses Ereignis ist nicht in der Bibel bezeugt, sondern auf der Kurh-Stele, die 1861 in der heutigen Türkei gefunden wurde und sich im Britischen Museum in London befindet.
Tiglat-Pileser III. (als König von Babel auch Pul genannt) forderte 738 v. Chr. Tributzahlungen von König Menahem (vgl. 2. Könige 15,19).
Salmanassar V. eroberte schließlich 722 v. Chr. die Hauptstadt Samaria und das Reich Israel war damit am Ende (vgl. 2. Könige 17,6).
701 v. Chr. belagerte Sanherib Jerusalem, die Hauptstadt des Südreichs Juda, musste sich aber dem Eingreifen Gottes geschlagen geben.
Davor hatte er viele andere Städte Judas, zum Beispiel Lachisch, erobert (vgl. 2. Könige 18,13–19,37).
Anfang des 20. Jahrhunderts ermöglichte Kaiser Wilhelm II. der Deutschen Orientgesellschaft, neben Babylon eine zweite Ausgrabung zu beginnen. Man entschied sich für die Ruinen einer Stadt am Ufer des Tigris, die man für die Reste der Stadt hielt, die Assyrien ihren Namen gab: Assur.
Schon Mitte des 19. Jahrhunderts waren britische Ausgräber auf ein Sitzbild des assyrischen Königs Salmanassar III. (858 bis 824 v. Chr.) gestoßen, stellten die Untersuchungen aber ein, nachdem aus Ninive und Nimrud weit größere Erfolge gemeldet wurden.
Reste einer gewaltigen Stadtmauer, dazu ein 30 Meter hoher Lehmberg, der als Ruine einer Zikkurat übrig geblieben war, waren für die deutschen Forscher Erfolg versprechend genug, um umfangreiche Grabungen zu beginnen. Systematisch wollte man die altorientalische Kultur unter die Lupe nehmen. Nicht nur Schätze für die Museen der Heimat ans Licht bringen, nicht nur Tempel, Paläste und Bibliotheken aufspüren, sondern den gesamten Aufbau einer Stadt untersuchen. Auf einer Fläche von nur 1,3 Quadratkilometern schien dies ein überschaubares Unterfangen zu sein. Die Leitung übernahm der erst 28-jährige, hochbegabte Architekt Walter Andrae, der zuvor Koldeweys Assistent in Babylon gewesen war.
Walter Andraes Grabungen, Rekonstruktionszeichnungen und Bücher ließen in den folgenden Jahrzehnten die im Wüstensand versunkene Stadt Assur wiederauferstehen.
Assur (A): 35.4574N, 43.2598E – Sichthöhe: etwa 2 Kilometer. Assur liegt am westlichen Ufer des Tigris (2) im Norden des Irak; direkt an die historische Stadt schließt sich das heutige Dorf Kalat Scherkat an (3). Glücklicherweise liegt Assur gerade noch innerhalb eines Gebiets mit hoher Auflösung. Die Landschaft südlich von Assur ist nur noch ungenau erkennbar (1).
Assur (B): 35.4593N, 43.2587E – Sichthöhe: etwa 900 Meter. Türkische Kaserne/Assur-Tempel (5), Assur-Enlil-Turm (6), Alter Palast (7), Anu-Adad-Tempel (8), Sin- und Schamasch-Tempel (9), Ischtar-Tempel (10), Neuer Palast (11), Schutthalde (12), Grabungshaus (13), Friedhof und Palastgebäude (14), Suchgräben (15).
Aus der Luft gut zu erkennen sind die von Archäologen im Abstand von 100 Metern angelegten Suchgräben (4), um das Gelände systematisch zu erforschen. Wenn Sie näher heranzoomen, eröffnen sich die Ruinen der Tempel und Paläste dem Blick. Neben den Königen hatten hier an der Nordseite der Stadt alle Götter ihre irdische Heimat. Das Assyrische unterscheidet nicht zwischen Tempel und Palast, und so waren göttliche und menschliche Gewalten nebeneinander aufgereiht.
Türkische Kaserne/Assur-Tempel (5): Das deutlich erkennbare Gebäude mit dem quadratischen Grundriss ist eine türkische Kaserne aus der Zeit des Osmanischen Reiches. Es befindet sich über den Fundamenten des Assur-Tempels, dem mit 130 mal 50 Metern wohl ältesten Bauwerk. Das zentrale Heiligtum gab es schon, als die Stadt unter dem großen Herrscher Schamschi-Adad I. (1813 bis 1781 v. Chr.) eine Blütezeit erlebte. Dieser mächtige König gab dem Tempel des Stadtgottes Assur seine Gestalt, die er fast unverändert bis zum Untergang der Stadt behielt.
Assur-Enlil-Turm (Zikkurat) (6): Ein 30 Meter hoher Hügel ist von diesem Stufenturm übrig geblieben.
Unter dem Alten Palast (7) befand sich die Gruft Assurnasirpals II.
Sin- und Schamasch-Tempel (9): Vom Heiligtum des Mond- und des Sonnengottes ist fast nichts übrig. Die erkennbaren Umrisse stammen von einem Gebäude aus späterer Zeit und der Bau der Straße hat das Fundament des alten Tempels vollends zerstört.
Ischtar-Tempel (10): Auch dieser Tempel, der aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. stammt, ist von späteren Bauten überdeckt. Nur an einer Stelle wurde den Ausgräbern ein Blick auf Überreste dieser frühen Epoche gewährt. Sie fanden einen Kultraum von 16 mal 6 Metern, in dem mehrere Statuetten gefunden wurden, die wohl stellvertretend für ihre Stifter die Kriegs- und Liebesgöttin Ischtar angebetet haben.
Den Neuen Palast (11) baute Tukulti-Ninurta I. Er regierte von 1244 bis 1208 v. Chr.
Kultstatuetten aus dem Ischtar-Tempel, ausgestellt im Berliner Pergamonmuseum.
Die gewaltige Schutthalde (12) zeigt, welche enormen Mengen Erdreich während der Ausgrabungen bewegt wurden. Im Grabungshaus (13) wohnten Walter Andrae und seine Mitarbeiter von 1903 bis 1914.
Friedhof und Palastgebäude (14): Der irakische Antikendienst nahm in den 1970er- und 1980er-Jahren die Ausgrabungen wieder auf und legte verschiedene Privathäuser aus parthischer sowie neu- und mittelassyrischer Zeit frei. Seit 1998 sind irakische Archäologen in Assur wieder tätig; unter einem Friedhof aus heutiger Zeit wurde ein neuassyrisches Palastgebäude angeschnitten.
Suchgräben (15): Die deutschen Ausgrabungen wurden 1988 durch Reinhard Dittmann von der Freien Universität Berlin wieder aufgenommen, und er legte eine weitere Tief-Sondage an. Nach Untersuchungen mit magnetischen Hilfsmitteln mussten die Grabungen aber wegen des Golfkrieges 1991 abgebrochen werden.
Assur ist seit 2003 Weltkulturerbe der UNESCO. Vor dem Irak-Krieg war Assur durch ein Staudamm-Projekt bedroht und wäre voraussichtlich 2007 überflutet worden. Daher steht Assur auch auf der Roten Liste der gefährdeten Stätten. Seit dem Krieg wurden die Arbeiten am Makhul-Damm nicht wieder aufgenommen, allerdings bleibt die Zukunft des Projekts unklar.