Ninive war eine der wichtigsten Städte Assyriens – zuletzt, unter der Herrschaft Sanheribs und Assurbanipals, sogar Hauptstadt. Städtegründer Nimrod hat laut biblischem Bericht auch Ninive erbaut. Nach assyrischen Überlieferungen soll die Stadt dagegen um 1800 v. Chr. von der Göttin Ischtar gegründet worden sein.
Ninive wird in der Bibel noch mehrmals erwähnt: Als König Sanherib gegen Juda und Jerusalem in den Krieg zog (vgl. 2. Könige 18,13) sowie in den Gerichtsankündigungen der Propheten Jona, Nahum und Zefanja.
Die Geschichte Jonas ist Bibelkundigen bekannt: Etwa um 770 v. Chr. wurde der Prophet von Gott beauftragt, Ninive den baldigen Untergang vorherzusagen, sollten die Bewohner nicht ihre Bosheit (Jona 1,2) bereuen. Letztlich haben die Einwohner Ninives tatsächlich auf die Worte Gottes gehört und so wurden 120.000 Menschen vor dem Untergang verschont.
Doch 150 Jahre später war es Nahum, der erneute Prophezeiungen gegen Ninive aussprach: »Der Stadt des Blutvergießens wird es furchtbar ergehen! Alles an dieser Stadt ist falsch. Sie ist voller Raub und das Plündern hört nicht auf. Es gibt kein Heilmittel gegen deinen Zusammenbruch, deine Verletzung ist tödlich. Alle, die hören, wie es dir ergeht, klatschen in die Hände! Denn wer hat nicht unter deiner ständigen Bosheit gelitten?« (Nahum 3,1.19).
Und auch Zefanja sagte: Der Herr wird »die große Hauptstadt Ninive zur verlassenen Einöde und zur unfruchtbaren Wüste machen« (Zefanja 2,13).
Nach der Zerstörung Ninives durch die Meder und Babylonier im Jahr 612 v. Chr. wurde die Stadt nie wieder aufgebaut und verschwand bis ins 19. Jahrhundert im Dunkel der Geschichte.
Die Entdeckung Ninives war die Geburtsstunde der Assyrologie, jenem Spezialgebiet der Altertumswissenschaften, das sich mit der Geschichte des einstigen Großreiches beschäftigt und dessen Funde die Glaubwürdigkeit an vielen Stellen untermauern. Doch diese Pionierzeit war geprägt von Unannehmlichkeiten, Irrtümern, Konkurrenzkampf und Pech.
Der französische Konsulatsagent Paul-Emile Botta suchte 1840 gegenüber Mosul, am jenseitigen Ufer des Tigris, nach den Ruinen von Ninive, das manche Forscher dort vermuteten. Doch er fand: nichts! Dann hörte er von Funden im nahe gelegenen Dorf Khorsabad und engagierte sich dort. Gefunden wurde eine mächtige Palastanlage. Da die gefundenen Keilschrifttexte damals noch nicht entziffert werden konnten, glaubte Botta, es handle sich um Ninive – ein Irrtum: 1857, als die Texte endlich entziffert werden konnten, wurde das Bauwerk als Sargon-Burg identifiziert, assyrisch: Dur Scharrukin.
1845 begann der Brite Henry Layard, die abgebrochene Ausgrabung gegenüber Mosul fortzusetzen, und fand schon beim ersten Spatenstich auf dem Tell Kujundschik Überreste der gewaltigen Paläste von Ninive.
Als die Paläste von Assurbanipal und Sanherib gefunden wurden, kannte die Begeisterung keine Grenzen und in Europa begannen Wissenschaft und Bevölkerung, sich für die Ausgrabungen der aus der Bibel bekannten Stätten zu interessieren. Ein Wettlauf um die besten Funde begann. Wie damals üblich, wurden die Funde nach Europa geschafft: von den Engländern ins Britische Museum nach London; die Franzosen brachten ihre Schätze in den Pariser Louvre.
Ninive schenkte den Archäologen die größte Urkundensammlung der Antike: 22.000 Keilschrifttafeln aus dem Palastarchiv Assurbanipals wanderten ins Britische Museum, darunter das Gilgamesch-Epos.
Königliche Löwenjagd auf einem Relief aus den Palästen Ninives.
In den Annalen der Stadt werden viele aus der Bibel bekannte Herrscher und Ereignisse erwähnt, darunter die Schlacht von Lachisch. Sanherib ließ die Eroberung der judäischen Stadt (vgl. 2. Könige 18,13ff) auf einem großen Relief bildlich festhalten.
Viele weitere Reliefplatten, die in den Königspalästen gefunden wurden, lassen die Archäologen heute ein eindrückliches und lebendiges Bild vom Leben der Assyrer nachzeichnen. Religiöse Darstellungen waren in Ninive in der Minderheit: Die Meisterwerke assyrischer Bildhauerkunst sind zur Freude der Historiker überwiegend Bildannalen, chronologisch geordnete Aufzeichnungen von Ereignissen.
Die Ruinen von Ninive liegen gegenüber der Stadt Mosul am linken Ufer des Tigris. Mosul ist mit 1,7 Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt des Irak und liegt 350 Kilometer nördlich von Bagdad. Sie wird überwiegend von Kurden und aramäischen Christen bewohnt. Nach dem Irakkrieg verließen viele Menschen die Stadt und es gibt keine genaue Statistik über die heute in Mosul lebende Bevölkerung.
Ninive (A): 36.3514N, 43.1731E – Sichthöhe: etwa 9,9 Kilometer. Wenn man den Verlauf der alten Stadtmauer (3) Ninives kennt, sind die Umrisse der alten Stadt gut zu sehen. Aus 10 Kilometern Höhe erkennt man den Tigris (1), den Nebenfluss »Khosr« (2), der Ninive durchfließt, und auch den großen Verteidigungswall (4) im Osten. Im Norden der Stadt wurde ein Abschnitt der Mauer sowie das Adad-Tor (5) rekonstruiert. 700 Meter südwestlich steht das wuchtige Nergal-Tor (6).
Das Nergal-Tor (6) ist das am besten erhaltene der ehemals 15 Tore, die den Zugang zur Stadt gewährten. Das 416. Bataillon der amerikanischen Civil Affairs-Einheit half der irakischen Antiquitätenverwaltung, dieses Tor nach dem Irakkrieg zu restaurieren. Es enthält heute ein kleines Museum, in dem Modelle assyrischer Städte ausgestellt sind.
Ninive (B): 36.3598N, 43.1541E – Sichthöhe: etwa 1,4 Kilometer. Der Flusslauf des Khosr (2) führt in einer Schlaufe an den Palästen Assurbanipals (6) und Sanheribs (7a) vorbei. Leider sind die – auch schon unzulänglich durchgeführten – Ausgrabungen nicht gut erhalten geblieben, weshalb auch die Tempel der Ischtar und des Nabu nur undeutlich zu sehen sind (8). Das neuere Gebäude (7b) auf dem Areal stammt aus den 1960er-Jahren und ist ein Museum, das mehrere Räume des Sanherib-Palasts beherbergt, ein großer Öltank aus dem Zweiten Weltkrieg ist ebenfalls auf dem Gelände zu sehen. Die Einheit der US-Armee will in Zusammenarbeit mit der UNESCO diesen Tank entfernen und hat Sicherheitskräfte gegen Plünderungen stationiert, denen in den 1990er-Jahren und 2003 zahlreiche Schätze zum Opfer gefallen sind. Der Siedlungshügel, auf dem sich die Paläste und Tempel befinden, heißt Tell Kujundschik.
Der Palast des Sanherib (7a+b): Dieses monumentale Gebäude hatte 71 Zimmer und Hallen sowie 27 Eingänge, die Räume waren geschmückt mit geflügelten Löwen und Stieren. Lange Reihen von Reliefs zierten die Wände, die meisten von ihnen sind heute im Britischen Museum zu
sehen.
Der Palast des Assurbanipal (6): Der Enkel Sanheribs hinterließ in seiner Residenz noch viele weitere Reliefs und Keilschrifttafeln, doch haben unzulängliche Grabungen diesen Palast fast vollständig zerstört.
Ninive (C): 36.3478N, 43.1613E – Sichthöhe: etwa 550 Meter. Weiter südlich liegt der »Tell Nebi Jenus«, auf dem sich heute das gleichnamige Dorf (10) und eine Moschee (9) befinden. Wegen der Moschee konnte Nebi Jenus archäologisch nicht näher untersucht werden. 1954 brachte eine Grabung allerdings ein palastartiges Gebäude zutage, das als Arsenal (Waffenlager) identifiziert wurde.
Das Dorf Nebi Jenus am Anfang des 20. Jahrhunderts. Die heutige Millionenstadt Mosul hatte sich damals noch nicht über den Tigris hinweg nach Osten ausgebreitet.
Nebi Jenus (10): Dieser Name bedeutet auf Arabisch Prophet Jona, bezieht sich also auf die auch im Koran überlieferte Geschichte des biblischen Boten Gottes. Angeblich befindet sich hier das Grab Jonas, zu seiner Ehre wurde die Moschee gebaut. Auf den bunten Kacheln, die den Innenhof der von Saddam Hussein zur eindrucksvollen Pilgerstätte ausgebauten Moschee schmücken, ist ein Koran-Zitat zu lesen: »Jona ist wahrhaftig ein Gottgesandter.« Das alte Dorf südlich des Heiligtums stand früher frei, heute ist es von Häuserblocks der Millionenstadt Mosul umgeben.
Wer Ninive mit dem Lineal in Google Earth ausmisst, wird feststellen, dass die gemessenen maximal fünf Kilometer Ausdehnung den in Jona 3,3-4 angegebenen drei Tagesreisen offensichtlich widersprechen.
Des Rätsels Lösung ist: In 1. Mose 10,12 wird der Ausdruck »die große Stadt« für vier Städte gebraucht: Ninive, Rehobot-Ir, Kelach und Resen. Der Gesamtumfang dieser vier Zentren des wahrscheinlich im Buch Jona gemeinten »Ninive-Bezirks« beträgt in der Tat knapp hundert Kilometer, was drei Tagesreisen entsprechen würde.