[Factum 6/2011; veröffentlicht am 1.9.2011; zuletzt aktualisiert am 22.12.2011]
Die Belagerung Jerusalems durch Sanherib zeigt sehr deutlich die Harmonie eines biblischen Berichts mit dem archäologisch nachweisbaren Geschehen. Und doch ist unser Bild von den Assyrern geprägt von einer Forschung, die die biblische Überlieferung links liegen gelassen hat. Wie passt beispielsweise die unverzügliche Bekehrung Ninives nach der Predigt des Propheten Jona zum wissenschaftlich postulierten Glauben an eine mesopotamische Götterwelt?
König Hiskia von Juda war 701 v.Chr. in den Mauern von Jerusalem eingeschlossen »wie ein Vogel im Käfig« (1) – so formulierte es zumindest sein Gegenspieler, der assyrische König Sanherib, der die Hauptstadt mit seinem Heer belagert hatte und völlig unerwartet scheiterte. In seinen Annalen und den Reliefs seines Palastes in Ninive ist von einer Niederlage nicht die Rede: Sanherib brüstet sich der Gefangennahme und Tributverpflichtung Hiskias und hat seinen militärischen Sieg über die weniger bedeutende Stadt Lachisch in Stein meißeln lassen, um dadurch seine ruhmreichen Taten für spätere Generationen festzuhalten. Die Bibel beschreibt indessen klar, auf welche Weise der »Vogel« wieder freikam:
»Und in dieser Nacht fuhr aus der Engel des HERRN und schlug im Lager von Assyrien hundertfünfundachtzigtausend Mann. Und als man sich früh am Morgen aufmachte, siehe, da lag alles voller Leichen. So brach Sanherib, der König von Assyrien, auf und zog ab, kehrte um und blieb zu Ninive.« (2. Könige 19,35–36)
Sanheribs Reliefs wurden ab 1847 im heutigen Irak freigelegt und führen uns in detailverliebten Bildern die gegnerische Sichtweise des biblischen Berichts vor Augen. Auf einem sechsseitigen Zylinder, dem sogenannten Sanherib-Prisma, ist in Keilschrift die assyrische Version des »Dritten Feldzugs« festgehalten: Hiskias »Gefangensetzung«, die Eroberung von 46 befestigten Städten, darunter Lachisch – von einer Niederlage ist nicht die Rede. Solche Nachrichten sind nicht das, was ein assyrischer Weltherrscher seinen Nachfahren hinterlassen wollte.
Pfeilspitzen und Skelette, die in Lachisch ausgegraben wurden, vervollständigen das Bild der damaligen Ereignisse ebenso, wie die Entdeckung des Siloah-Wassertunnels, durch den Jerusalem der Belagerung Sanheribs lange Zeit standhalten konnte. Am südlichen Ausgang des Tunnels wurde 1880 eine Inschrift gefunden: »Und am Tag der Fertigstellung des Tunnels, schafften die Steinhauer den Durchbruch und trafen aufeinander, Beilhacke gegen Beilhacke, und das Wasser floss von der Quelle bis zum Teich« (2).
Das ZDF widmete eine Ausgabe des Magazins »Terra-X« dem »Sturm auf Jerusalem« (3), einem historischen Ereignis, »das sich wie kein anderes im Alten Testament zumindest teilweise durch andere Texte und archäologische Funde eindeutig belegen lässt« (4).
Sanherib wurde schon unter seinem Vater Sargon II. mit wichtigen Aufgaben betraut und so war er nach dessen Tod »Kronprinz im besten Sinne des Wortes gewesen – eindeutig und ohne intervenierende Palast- und Haremsintrigen legitim«. (5) Geboren wohl um das Jahr 745 v. Chr. dürfte er zur Zeit der Eroberung des israelitischen Nordreichs durch seinen Vorgänger Salmanassar V. ungefähr 23 Jahre alt gewesen sein. Vielleicht war er als junger Soldat sogar am Untergang Samarias beteiligt?
Belegt ist, dass ihm schon unter seinem Vater der Nordabschnitt der assyrischen Grenze unterstellt war. Zu dieser Zeit wird er wohl eine Art »Leiter des assyrischen Geheimdienstes« gewesen sein:»Kundschafterberichte wurden von dem Kronprinzen Sanherib zusammengefasst und als Sammelmeldungen an den assyrischen König weitergeleitet.« (6)
Als Sanherib selbst im Jahr 704 v. Chr. die Regierung antrat, war er um die 40 Jahre alt, sein Rivale Hiskia war nicht viel älter – sein Geburtsjahr wird auf 740 v. Chr. geschätzt, wobei die Datierung anhand der biblischen Angaben nicht ganz einfach ist, weil Mitregentschaften der aufeinanderfolgenden Könige in Betracht gezogen werden müssen.
Die Beschreibung von acht Militärkampagnen, viele weitere Inschriften sowie zahlreiche prachtvolle Reliefs zeugen von Sanheribs großen Erfolgen, aber auch von seiner Grausamkeit, die den Assyrern wohl in besonderer Weise zu eigen war. Das Pfählen und Häuten der Feinde wurde in Text und Bild ausgiebig festgehalten und diente wohl nicht zuletzt dazu, potentielle Aufrührer in angst und Schrecken zu versetzen. Der Prophet Nahum bestätigt die besondere Mordlust der Assyrer: »Weh der mörderischen Stadt [Ninive], die voll Lügen und Räuberei ist und von ihrem Rauben nicht lassen will!« (Nahum 3,1)
Sanherib festigte Assyriens Anspruch als unumstrittenes Weltreich und führte die Provinzen an den Grenzen in ein stabiles Abhängigkeitsverhältnis, das er allerdings durch seine Feldzüge immer wieder bekräftigen musste. Die Zerstörung Babylons 689 v.Chr. war zweifellos ein wichtiger symbolischer Schachzug im Kampf um den Machtanspruch im Zweistromland. Aber auch persönliche Gründe dürften eine Rolle gespielt haben, denn sein Sohn Assur-nadin-sumi, den er fünf Jahre zuvor als babylonischen König eingesetzt hatte, war umgebracht worden.
Aus säkulärer Sicht war »die Belagerung Jerusalems […] nur eine Episode in Sanheribs Regierung« (7) – allerdings nicht aus der Sicht des Bibellesers, dem die ausführlichen Darstellungen in 2. Könige 18 bis 20; Jesaja 36 bis 39 sowie 2. Chronik 29 bis 32 einen wertvollen Einblick in die Denkweise und die religiösen Überzeugungen der damaligen Zeit geben.
Der Prophet Jesaja hat den assyrischen Ansturm auf Juda miterlebt und kann uns helfen, Sanherib noch etwas besser verstehen zu lernen. Zahlreiche Kapitel vor seinem Bericht über die Belagerung selbst hat Jesaja manche Zeilen aufgeschrieben, die uns hinter die Kulissen der blutigen Auseinandersetzung blicken lassen.
»Wehe Assur, der meines Zornes Rute und meines Grimmes Stecken ist! Ich sende ihn wider ein gottloses Volk und gebe ihm Befehl wider das Volk, dem ich zürne, dass er's beraube und ausplündere und es zertrete wie Dreck auf der Gasse. Aber er meint's nicht so, und sein Herz denkt nicht so, sondern sein Sinn steht danach, zu vertilgen und auszurotten nicht wenige Völker.« (Jesaja 10,5–7)
Gott selbst hatte Assyrien zum Gericht über das abtrünnige Juda bestellt! Doch mit seinem Machthunger und seiner Zerstörungswut zog der König von Assyrien selbst das Gericht Gottes auf sich.
Sehr eindrücklich ist die psychologische Kriegsführung der Assyrer, als sie vor Jerusalem stehen. Der »Rabschake« – ein hoher assyrischer Militärbeamter – möchte das Volk gegen dessen König aufwiegeln. Dabei zeigt sich die religiöse Einstellung der Assyrer:
»Meinst du aber, ich sei ohne den HERRN heraufgezogen, dass ich diese Stätte verderbe? Der HERR hat mir's geboten: Zieh hinauf in dies Land und verdirb es!« (2. Könige 18,25)
Zunächst scheinen sich die Assyrer tatsächlich als Beauftragte des HERRN zu betrachten, doch was sie von Gott halten, offenbart ein weiterer Satz aus den Rufen gegen das Volk:
»Wenn kein Gott eines Volkes und Königreichs sein Volk aus meiner und meiner Väter Hand hat erretten können, so wird euch auch euer Gott nicht erretten aus meiner Hand.« (2. Chronik 32,15)
Nun scheuen sich die Assyrer einerseits nicht, einer höchsten Gottheit, an die sie offensichtlich auch glauben, den Namen des judäischen Gottes zu geben – Jahwe – andererseits betrachten sie eben diesen Gott Israels gleichzeitig als einen gegenüber ihrem Volk machtlosen Lokalgott unter vielen. Sanherib und seine Oberen sind selbstsicher und arrogant genug, Gott für ihre Zwecke vorzuschieben – aber sie vertrauen im Grunde, wie Jesaja in Kapitel 10 berichtet, auf ihre eigene Kraft:
»Ich hab's durch meiner Hände Kraft ausgerichtet und durch meine Weisheit, denn ich bin klug. Ich habe die Grenzen der Länder anders gesetzt und ihre Schätze geraubt und wie ein Stier die Bewohner zu Boden gestoßen.« (Jesaja 10,13) Dies ist blanker Hochmut und trotz einiger frommer Worte betet Hiskia zurecht: »HERR, neige deine Ohren und höre doch, HERR, tu deine Augen auf und sieh doch! Höre doch alle die Worte Sanheribs, die er gesandt hat, um den lebendigen Gott zu schmähen.« (Jesaja 37,17)
Gott selbst klagt Sanherib an:
»Vermag sich auch eine Axt zu rühmen wider den, der damit haut, oder eine Säge großzutun wider den, der sie zieht? Als ob die Rute den schwänge, der sie hebt; als ob der Stock den höbe, der kein Holz ist!« (Jesaja 10,15)
Das apokryphe Buch Tobias überliefert eine weitere Perspektive aus der Zeit Sanheribs: Tobias gehörte zu jenen Israeliten, die nach der Eroberung des Nordreichs in Ninive lebten und dort den Glauben an Gott hochhielten:
»Lange danach aber, nach dem Tod des Königs Salmanassar, als sein Sohn [besser: Nachfolger] Sanherib regierte, dem die Israeliten verhasst waren, ging Tobias wieder bei allen Israeliten umher und tröstete sie und gab ihnen von seinem Vermögen, soviel er konnte: die Hungrigen speiste er, die Nackten kleidete er, die Toten und Erschlagenen begrub er. Dann aber kam König Sanherib aus Judäa zurück, als er hatte fliehen müssen, weil ihn Gott um seiner Lästerung willen geschlagen hatte. Darüber war er sehr zornig und ließ viele Israeliten töten. Da war es Tobias, der sie begrub. Als aber der König das erfuhr, befahl er, ihn zu töten, und nahm ihm all sein Hab und Gut. Tobias aber floh mit seinem Sohn und seiner Frau und konnte sich, völlig mittellos, verborgen halten, weil viele ihn liebten und ihm halfen.« (Tobias 1,18–23, nach Luther)
Ein überraschendes Licht auf die Religiosität Sanheribs wirft eine jüdische Erzählung über den Weg des Königs von Jerusalem zurück nach Ninive. Aus der Bibel sind uns nur diese Sätze überliefert:
»Da brach Sanherib, der König von Assur, auf und kehrte in sein Land zurück. Er blieb in Ninive. Als er eines Tages im Tempel seines Gottes Nisroch betete, erschlugen ihn seine Söhne Adrammelech und Sarezer mit dem Schwert. Darauf mussten sie in das Land Ararat fliehen und Sanheribs Sohn Asarhaddon wurde König an seiner Stelle.« (2. Könige 19,36–37)
Der Geschichtsschreiber Josephus erwähnt zusätzlich Sanheribs »eigenen Tempel, der Araska genannt wurde« (8). Die besagte Erzählung ist uns überliefert durch Rabbi Louis Ginzberg (1873–1953) und geht wohl auf das Mischna-Traktat »Sanhedrin« zurück:
»Auf seiner Rückkehr nach Assyrien fand Sanherib eine Holzplanke, die er als ein Götzenbild verehrte, denn sie war ein Teil der Arche, die Noah von der Sintflut rettete. Er versprach, dass er seine Söhne opfern würde, wenn seine nächsten Unternehmungen gelingen würden. Aber seine Söhne lauschten seinem Gelübde. Sie töteten ihren Vater und flohen nach Kardu.« (9)
Diese Begebenheit, zusammen mit der Erwähnung von »Kardu« anstelle des biblischen Begriffs »Ararat«, bestätigt übrigens, dass der Berg Cudi im Süden der heutigen Türkei als Landeplatz der Arche dem heute unter dem Namen »Ararat« bekannten Berg vorzuziehen ist, weil letzterer weit jenseits der Route von Jerusalem nach Ninive liegt (10).
In der wissenschaftlichen Literatur wird »Nisroch« mit einem adlerköpfigen Wesen in Verbindung gebracht, da sich im Arabischen und Persischen die Wörter ähneln und die geflügelten Wesen eine große Rolle im Sanherib-Palast in Ninive spielten. Auch mit Noahs Taube wurde »Nisroch« schon in Verbindung gebracht, dies ist vielleicht der Versuch, die verschiedenen Interpretationen miteinander in Einklang zu bringen (11).
Dass die Verehrung eines heiligen Gegenstandes – vielleicht tatsächlich eines Stücks Holzes der Arche Noah – damals nicht ungewöhnlich gewesen wäre, sehen wir bei Hiskia, der den Stab Mose vernichtete, der damals als Götze verehrt wurde:
»Er schaffte die Kulthöhen ab, zerbrach die Steinmale, zerstörte den Kultpfahl und zerschlug die Kupferschlange, die Mose angefertigt hatte und der die Israeliten bis zu jener Zeit Rauchopfer darbrachten - man nannte sie Nehuschtan (Kupferbild).« (2. Könige 18,4)
Nichts anderes könnte bei Hiskias Zeitgenossen Sanherib der Fall gewesen sein. Diese »Reliquienverehrung« wurde ihm als Anlass der Verschwörung seiner Söhne schließlich zum Verhängnis.
An Glaubwürdigkeit gewinnt die Erzählung von der Arche-Noah-Reliquie dadurch, dass sein fünfter Feldzug Sanherib von Ninive aus nach Norden führte. Das assyrische Heer zog 697 v. Chr. unter anderem zum mutmaßlichen Arche-Berg Cudi, wo mehrere in den Fels eingelassene Reliefs die Anwesenheit Sanheribs belegen.
Durch seinen Einsatz an der Nordgrenze unter Sargon II. kannte sich Sanherib im Norden gut aus. Sein Bericht lautet wie folgt:
»Mein fünfter Feldzug führte zu den Kriegern von Tumurru, Sharum, Ezama, Kibshu, Halgidda, Kua and Kana, die sich meinem Joch nicht mehr beugen wollten. Ihre Wohnstätten waren gleich Adlerhorsten auf dem Gipfel des Nipur, eines steilen Berges. Mein Lager hatte ich am Fuße des Nipur aufgeschlagen und mit meinen auserlesenen Leibwächtern und unerbittlichen Kriegern stieß ich wie ein starker Wildochse zu ihnen hinauf. Ich überwand Schluchten, Wildbäche,Wasserfälle und gefährliche Klippen in meiner Sänfte. Wo es zu steil wurde, ging ich zu Fuß voran. Wie eine junge Gazelle stieg ich zu den höchsten Gipfeln hinauf, um sie zu verfolgen. Wo immer meine Knie einen Ruheplatz fanden, setzte ich mich auf einen Felsblock und trank das kalte Wasser aus einem Schlauch. Zu den Gipfeln der Berge folgte ich ihnen und siegte über sie. Ich nahm ihre Städte ein und nahm Beute mit. Ich zerstörte, ich verwüstete, ich verbrannte alles mit Feuer.« (12)
Dass der Berg Nipur mit dem Cudi gleichzusetzen ist, ergibt sich aus den gleichlautenden Inschriften der Sanherib-Felsreliefs unmittelbar am Fuß des Berges. Leonard William King (1869–1919) dokumentierte und übersetzte die Inschriften. Sie enthalten die oben angeführte Beschreibung und fügen noch einige interessante, aber nur fragmentarisch erhaltene Zeilen hinzu: Er habe befohlen, auf dem Gipfel ein Relief anfertigen zu lassen, um die Macht seines Gottes Assur zu verewigen. Wer immer es zerstören möge, solle die Wut Assurs und der großen Götter auf sich ziehen.
Die Anzahl von fünf Reliefs des Königs am Fuße des Cudi lässt darauf schließen, dass dieser Ort eine gewisse Bedeutung für den König hatte. Zwar scheint dieser Feldzug einige Zeit nach der Rückkehr von Jerusalem nach Ninive gewesen zu sein, doch falls ihm auf irgendeine Weise eine Reliquie in die Hände gefallen war, mag ihm einiges daran gelegen haben, diesen Ort in seinen Besitz zu nehmen.
In der Tontafelbibliothek von Sanheribs Nachfolger Assurbanipals (669 v. Chr. – 627 v. Chr.) wurde in Ninive eine Version des berühmten Gilgamesch-Epos gefunden. Darin geht es um einen später vergötterten König, der zum babylonischen Noah – Utnapischtim – pilgern wollte, um das Geheimnis der Unsterblichkeit zu erfahren.
Falls damals noch Teile der Arche auf dem Gipfel des Cudi vorhanden waren – und manches scheint darauf hinzuweisen – dann wird dieser Ort, keine 130 Kilometer von Ninive entfernt, eine große religiöse Bedeutung gehabt haben.
Die Deutung dieser jahrtausendealten Geschehnisse wird immer einen hohen spekulativen Anteil behalten. Doch scheinen die biblischen Berichten sowie die archäologischen und historischen Daten nicht mit der gängigen Meinung zusammenzupassen, dass der Glaube der mesopotamischen Völker ganz und gar vom Jahwe-Glauben Israels zu unterscheiden ist. Stimmt es wirklich, wenn im Bibellexikon steht: »In den meisten Punkten unterschied sich die assyrische Religion nur wenig von der Babyloniens, von der sie sich herleitete« (13)?
Viele Menschen gehen heute davon aus, dass auch die Religion ein Produkt der Evolution ist und sich von ersten Ahnenkulten über polytheistische Götterwelten hin zum Monotheismus entwickelte. Über Assyrien wird berichtet, dass im 8. Jahrhundert dem Gott Nabu eine gewisse Einzigartigkeit verliehen worden sei: »Man mag es als Monolatrie bezeichnen (als ausschließliche Verehrung nur einer einzigen Gottheit), noch aber ist es doch von einem regelrechten Monotheismus weit entfernt« (14). Von minimalistischen Religionsforschern wird dagegen dem Volk Gottes ein noch lange bestehender Polytheismus vorgeworfen: »Aus der Zeit von 460 bis 407 v.Chr. liegt Tempelpost vor. Die Schriften zeigen, dass die Auslandsjuden selbst in dieser Zeit noch neben ihrem Hauptgott Jahu mindestens drei weitere Götter verehrten, darunter die Liebesgöttin Anat.« (15) Erst unter den Makkabäern im 2. Jahrhundert vor Christus habe sich der Glaube an einen Gott endgültig durchgesetzt!
Wenn wir die Bibel als wahr ansehen, ergibt sich ein vollständig anderes Bild für die »Entwicklung« der Religion: Der Glaube an den einen und einzigen Schöpfer, der sich den Israeliten eines Tages als »Jahwe« offenbarte, war von Anfang an da. Andere Götter, die wohl auch hier und da den Platz Gottes einnahmen, kamen erst nach und nach zum Vorschein. Nach der Flut wurden die Menschen sehr alt, in den Augen ihrer jüngeren Zeitgenossen nahezu unsterblich (siehe Gilgamesch-Epos). Es ist gut vorstellbar, dass diese Stammväter der sich neu ausbreitenden Menschheit als Helden, Heilige und schließlich als Götter verehrt wurden.
Von verschiedenen Forschern wurde zum Beispiel in Betracht gezogen, dass der mächtige Jäger Nimrod zum babylonischen Staatsgott Marduk und davon abgeleitet zu Assur geworden ist (16). Tatsächlich scheint aber in der Götterwelt Mesopotamiens zunächst noch die Erinnerung an einen Schöpfergott bestanden zu haben, neben denen Marduk und viele andere »Heilige« zunächst nur von untergeordneter Bedeutung waren. Mit der Zeit haben die »Heiligen« jedoch Gottes Platz eingenommen. Jeder mag selbst darüber nachdenken, inwieweit und wo sich heute ähnliche Verschiebungen ergeben haben.
Das Gottesbild der Bibel scheint mir von drei Konstanten geprägt zu sein: Gott ist ewig, Gott hat sich in der Bibel und in seinem Sohn offenbart, Gott hat sich Israel auserwählt.
Wer einen dieser Punkte missachtet, dessen Gottesbild droht aus den Angeln zu geraten. Ob ein Geschöpf an die Stelle des Schöpfers geraten ist, die Heilige Schrift durch Mythen und Fabeln abgelöst wurde oder das Volk Israel verhöhnt und bekämpft wird – all dies sind Anzeichen dafür, dass man vom richtigen Glaubensweg abgekommen ist.
Und dabei sind Israel und Juda, denen Gott Gericht angedroht und schließlich gebracht hat, nicht zu unterscheiden von den Assyrern, die sich durch Jona zumindest vorübergehend ihr Gottesbild zurechtrücken ließen. Und es gibt auch kaum einen Unterschied zu den Menschen und Gemeinden der heutigen Zeit, die immer wieder anhand der Bibel überprüfen sollten, ob sie sich nicht ein eigenes, falschen Bild von Gott zurechtgezimmert haben!
Was für ein Mensch war nun Sanherib? Ein machtversessener, götzendienerischer Barbar – oder vielleicht doch eher ein Suchender? Einer, der sich in göttlichem Auftrag sah und schließlich seinen Glauben an den falschen Dingen festmachte und am eigenen Hochmut scheiterte?
Sanherib erkannte nicht, dass Israels Gott auch sein Schöpfer ist. Dass sein eigenes Gottesbild nicht mehr dem entsprach, wie Gott wirklich war und woran Jona etwa 75 Jahre zuvor erinnert hat. Dass nicht die Axt mächtig ist, sondern derjenige, der damit zuschlägt.
Nicht ein Stück der Arche hätte er als Gott Nisroch verehren sollen, sondern denjenigen, der diese Arche zur Errettung der Menschheit hatte bauen lassen. Dazu der Hass auf die Israeliten, die Blindheit vor der Auserwähltheit der Juden. Sanherib war ein Prototyp der vielen irregeleiteten Religiösen, die nicht nach Gott und seinem Willen fragten, sondern sich in ihrem Hochmut an »heiligen« Menschen und Gegenständen festhielten. Und die in Gottes Volk Fallengelassene oder später sogar Christusmörder sahen.
Lassen wir uns die 2700 Jahre alten Worte Jesajas gegen den Hochmut des Königs von Assyrien eine Warnung sein. Wie oft denken wir selbst wie Sanherib:
»Ich hab's durch meiner Hände Kraft ausgerichtet und durch meine Weisheit, denn ich bin klug.« (Jesaja 10,13)
Timo Roller
(1) Sanherib-Prisma, siehe http://www.kchanson.com/ANCDOCS/meso/sennprism3.html
(2) Erklärungstafel in Jerusalem mit englischer Übersetzung
(3) http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/startseite/#/beitrag/video/1300558/Sturm-auf-Jerusalem
(4) Paul Lawrence: »Der große Atlas zur Welt der Bibel«, Gießen 2007, S. 92
(5) Dietz Otto Edzard: »Geschichte Mesopotamiens«, München 2009, S. 214
(6) Ralf-Bernhard Wartke: »Urartu, das Reich am Ararat«, Mainz 1993, S. 50
(7) Dietz Otto Edzard: »Geschichte Mesopotamiens«, München 2009, S. 214
(8) Flavius Josephus: »Jüdische Altertümer« X,1,5
(9) Louis Ginzberg: »The Legends of the Jews – Vol. IV«, New York 2005, S. 269f
(10) Timo Roller: »Noahs Berg«, www.noahs-berg.de
(11) William Smith: »Dictionary of the Bible«, London 1863, S. 561f
(12) Sanherib-Prisma, siehe http://www.kchanson.com/ANCDOCS/meso/sennprism3.html und http://www.kchanson.com/ANCDOCS/meso/sennprism4.html
(13): Helmut Burkhardt et al.: »Das große Bibellexikon«, Witten 2009, S. 132
(14) Dietz Otto Edzard: »Geschichte Mesopotamiens«, München 2009, S. 201
(15) »Der Spiegel«, Nr. 52/2002, S. 146
(16) David Rohl und Werner Papke, siehe auch »factum«, Nr. 7/2010, S. 11f