Es scheint in der Bibelwissenschaft neuerdings die erfreuliche Tendenz zu geben, die Heilige Schrift wieder als »heilig« zu sehen und auch aus historischer Sicht ernst zu nehmen. Nachdem schon Papst Benedikt mit seinen Jesus-Büchern eine gewisse Begeisterung in der evangelikalen Szene auslöste, ist nun Klaus Bergers Buch »Die Bibelfälscher« ein wortgewaltiges Plädoyer für eine bibeltreue Schriftauslegung. Er nimmt die bibelkritsche Universitätstheologie der letzten beiden Jahrhunderte aufs Korn und wirft den Exegeten vor, die Bibel als unglaubwürdig dargestellt und damit die Fundamente des christlichen Glaubens ausgehöhlt zu haben. »Eine zornige Abrechnung« steht fettgedruckt auf dem Buchrücken – und Berger nimmt kein Blatt vor den Mund: »Die Bibelforschung strotzt von Denkverboten, Ignoranz und von philosophischen Moden, die ans Märchenerzählen grenzen.« Trotzdem schreibt er sehr sachlich und belässt es nicht bei der Kritik. Einige strittige Punkte führt er sehr bibelorientiert aus und schlägt Wege zu einer zukünftigen Exegese vor, die wieder stärker mit Gottes Wirken rechnet.
Klaus Berger war bis 2006 Professor für Neutestamentliche Theologie an der Universität Heidelberg. Durch einen langjährigen Aufenthalt in den Niederlanden war er Mitglied einer evangelischen Kirche, obwohl er die katholische Konfession nie verlassen hatte, was erst bei seiner Emeritierung ans Licht kam und für einen Skandal sorgte. Im neuen Buch betont er allerdings, dass der Unterschied zwischen den Konfessionen in der Exegese wenig relevant sei und einzig bei seiner Betrachtung der leiblichen Geschwister Jesu vertritt er eine eindeutig katholische Position. Berger sieht sich als »biblischen« Theologen (siehe S. 271) und ist sich dessen bewusst, dass er in seiner Zunft als Außenseiter gilt: »Es gibt außer mir keinen lebenden Exegeten, der 1 Petr für ›echt‹ hält.« (S. 16) Sein neues Buch »Die Bibelfälscher« versteht er als dringenden Appell »zu einer Reformation besonderer Art, nämlich zu einer Reformation der sogenannten historisch-kritischen liberalen Exegese.« (S. 10)
Obwohl er den Begründern der Bibelkritik wie Rudolf Bultmann ein »Bemühen um Redlichkeit« (S. 282) zugesteht, habe die »historisch-kritische Exegese der letzten 200 Jahre […] alles Porzellan im Haus der Christenheit zerschlagen, bis hin zur letzten Blumenvase« (S. 345). Den Grad des Misstrauens, der heute den biblischen Texten entgegengebracht wird, hält er für »aberwitzig« (S. 33). Die aufklärerische Bibelauslegung gehe vor, »als gäbe es Gott nicht« (S. 63) und die Exegese habe »den Glauben verbrannt« (S. 47).
Rund um Ostern und die Auferstehung Jesu seien die Wissenschaftler »Müllentsorger gewesen« (S. 95) und die Himmelfahrt Christ gelte aus historischer Sicht als »vollkommen indiskutabel« (S. 101). Nach Meinung der modernen Bibelforschung sei die Anzahl der echten Jesusworte so gering, dass man sie auf einer Postkarte zusammenstellen könne (S. 140).
Klaus Berger sieht als Ergebnis der biblisch-kritischen Exegese einen Scherbenhaufen: »Offenbar sind die Geschichten so weit auseinandergenommen worden, dass ihre Teile wie demontierte Motorradstücke auf einem Hinterhof herumliegen – keiner bekommt sie mehr zusammen.« (S. 74f) Es liege an der Exegese, dass man den Kirchen nicht mehr glaubt, was sie sagen (S. 285). Er bedauert, dass es heute Grundprinzip ist, nichts mehr für möglich halten zu wollen, was angeblich gegen die moderne Wissenschaft verstößt. »Wir haben Gott gestrichen und damit die unsichtbare Hälfte der Wirklichkeit abgeschafft.« (S. 305)
Klaus Berger sieht den biblischen Text und damit den christliche Glauben verseucht durch die Ideologien der Exegeten und eine übermäßige Anpassung an den Zeitgeist. Unter dem Stichwort »Aufklärung« lasse sich »erfolgreich weltlich-theologisch arbeiten, und zwar für jede Art Emanzipation, für sexuelle Minderheiten und für Umweltschutz inklusive Mülltrennung« (S. 54).
Es sei gängige Praxis, »sich nach eigenen Vorlieben den passenden Jesus zurechtzubasteln« (S. 36), einen Reformer, Sozialrevolutionär, Heilpraktiker oder schlicht ein Opfer der Obrigkeit. Jesus gelte als Pazifist und als »liberaler humanitärer Gutmensch« (S. 265).
Obwohl in den letzten 40 Jahren »in der neutestamentlichen Exegese in Deutschland überhaupt nichts Relevantes geschehen« sei (S. 34), nimmt Klaus Berger einen »exegetischen Enthüllungsjournalismus« wahr, »den dann die großen Illustrierten zu Ostern und zu Weihnachten nachahmen« (S. 80). Für Klaus Berger ist es eine »Frechheit« (S. 187), wenn Theologen behaupten, die zwölf Apostel habe es nie gegeben, die Jungfrauengeburt sei unglaubwürdig und die angeblich frauen- und judenfeindlichen Äußerungen von Paulus und weitere unliebsame Texte seien möglichst großzügig zu »entsorgen« (S. 211ff).
»Die Bibelfälscher« belässt es nicht bei einer Bestandsaufnahme und Kritik an der Bibelkritik. Vielmehr geht Berger auf viele strittige Punkte ein und erläutert die kontroversen Verse sowohl theologisch fundiert als auch leicht verständlich. Dies macht das Buch zu einer wertvollen Lektüre für alle, die einmal im Schnelldurchgang auf die problematischen Texte des Neuen Testaments Antworten finden wollen. So entgegnet der Autor dem Vorwurf der Bibelkritiker, die unterschiedlichen letzten Worte Jesu am Kreuz würden belegen, dass sie alle unhistorisch seien: »Die Verschiedenheit in der Überlieferung der letzten Worte Jesu sind mit Sicherheit der Verworrenheit in dieser Lage der Katastrophe zu verdanken. Jesus kann sie alle geäußert haben. Die verschiedenen Versionen zeigen nur, was für den jeweilige Evangelisten das Wichtigste war.« (S. 193) Auf die vielfach vorgebrachte Wunderkritik entgegnet er: »Die frühen Christen […] waren nicht so leichtgläubig, unkritisch oder naiv, wie es oft dargestellt wird.« (S. 163) Es sei angebracht, sich auf die Aussagen der biblischen Verfasser zu verlassen und die Verweise auf Zeugen – z.B. die auf die über 500 Zeugen der Auferstehung in 1. Kor 15,6 – ernst zu nehmen.
In einem Abschnitt führt Klaus Berger seine Gedanken zum Wort »Fundamentalismus« aus. Es habe sich eingebürgert, dass die Alternative zur gebräuchlichen liberalen Exegese als »Fundamentalismus« bezeichnet werde. Er sieht allerdings auch in diesem Vorwurf selbst einen vergleichbaren Fundamentalismus. »Der Fundamentalist ist der Eindimensionale« (S. 174) – Berger mahnt zur Offenheit und Dialogfähigkeit. Der Unterstellung gegenüber dem Bibel-Fundamentalismus entgegnet er: »Natürlich ist es sehr gut und nützlich, die biblischen Autoren beim Wort zu nehmen.« (S. 174) Er selbst habe es als sehr bereichernd erlebt, dass in einer Bibelstunde auf Amrum sich die Anzahl der Teilnehmer von Mal zu Mal erhöht habe, »weil Bibel plötzlich als spannend entdeckt wurde« (S. 296).
Klaus Berger empfiehlt als Grundlage für die heutige und zukünftige Verkündigung der Kirche eine Auslegung, die sich wieder mehr an der Bibel orientiert und ihr nicht aufklärerische Ansichten des Zeitgeistes aufzwingt. Er selbst versuche, immer wieder »neu und genau hinzuhören«, »das zuvor Überhörte aufzuspüren« und »mit dem Unerhörten auf Schritt und Tritt zu rechnen« (S. 306).
Obwohl Klaus Berger als Neutestamentler kaum auf strittige Themen des Alten Testaments eingeht und »zwischen Schöpfung und Evolution keinen Gegensatz« sieht (S. 83), ist sein gegenüber dem Wort Gottes sehr respekt- und liebevoll hervorgebrachter Befund der heutigen theologischen Landschaft sehr begrüßenswert. Er schließt sich einem Ziel an, das er auch in den Jesus-Büchern des zurückgetretenen Papstes sieht: »Frühjahrsputz in einer Kirche, der harte Zeiten bevorstehen« (S. 346) – das ist sicherlich ein wichtiges und erstrebenswertes Ziel, das überkonfessionell für alle Christen gelten sollte, die die Bibel als das sehen wollen, als was sie sich selbst versteht: Als Gottes Wort.
Timo Roller