Unter (amerikanischen) Christen ist der neue Noah-Film von Darren Aronofsky sehr umstritten. Vielleicht muss man genauer hinsehen, um mehr zu verstehen. Buchautor und Arche-Forscher Timo Roller hat den Film gesehen und für den Blog der Zeitschrift »Entscheidung« rezensiert. Der Beitrag ergänzt eine Vorabkritik, die unter dem Titel »Noah und die sechsarmigen Riesen« in der Ausgabe 2/2014 des Magazins erschienen ist.
»Ich stehe hier mit meinen Leuten. Und Du bist allein und willst dich mir widersetzen?« – »Ich bin nicht allein!« Russell Crowe als Noah steht vor seinem Widersacher Tubal-Kain (Ray Winston) und weiß um Gottes Schutz für sich und seine Familie. So müsste man als gläubiger Zuschauer schlussfolgern, wenn man den Trailer des Hollywoodfilms sieht, der am 3. April in den deutschen Kinos anläuft.
Doch Gott ist im Noah-Film fern, stumm, unpersönlich. Er wird »der Schöpfer« genannt und Noah erhält seinen Auftrag durch schreckliche Visionen. Eine davon sogar ausgelöst durch einen Tee seines Großvaters Metuschelach. Ein Hexengebräu? Ein Drogencocktail? Gespielt von Oscarpreisträger Anthony Hopkins bringt dieser älteste Mensch der Bibel eine Prise Humor in den Film. Im Vergleich zu den Comic-Bänden, die Autor und Regisseur Darren Aronofsky quasi als Grundlage für den Film vorab veröffentlicht hat, wurde seine Rolle etwas verändert. In der finalen Hollywoodversion erscheint er nicht mehr ganz so sehr wie ein geheimnisvoller Magier, sondern eher wie ein weiser alter Mann. Hier und da merkt man, dass theologische Berater, die die Filmemacher hinzugezogen hatten, wohl einen gewissen Einfluss hatten. Und doch entspricht die Geschichte insgesamt recht genau der Comicversion und weicht damit teilweise beträchtlich vom Bericht der Bibel ab. Manche Details sind aber wiederum sehr genau: So stirbt Metuschelach im Film beim Hereinbrechen der Flut, was sich tatsächlich aus dem masoretischen Grundtext der Bibel ableiten lässt: 187 (Metuschelach zeugt Lamech) + 182 (Lamech zeugt Noah) + 600 (Alter Noahs, als die Sintflut kam) ergibt 969 (Lebensalter Metuschelachs)! Metuschelach starb wahrscheinlich im Jahr der Flut.
Noah ist allein. Das Schweigen Gottes während der Flut lässt ihn vom fürsorglichen Vater und naturverbundenem Vegetarier (auch dies übrigens durchaus biblisch) zum verbissenen Arche-Kapitän werden, der um jeden Preis seine vermeintliche Aufgabe zu erfüllen hat und dafür das Zerbrechen seiner Familie riskiert.
»Ich bin nicht allein« – die eigentliche Überraschung sind für jeden unvorbereiteten Zuschauer sicherlich die »Wächter«, die sich nach Noahs Widerrede gegen Tubal-Kain und seine Armee erheben. Die Nephilim, gefallene Engel, sind in unserer Vorstellung der Sintflutgeschichte unbekannt. Aronofsky beruft sich dabei auf die ersten, schwer verständlichen Verse des 6. Genesis-Kapitels, in dem von den Riesen die Rede ist, die aus einer Verbindung von »Gottessöhnen« und »Menschentöchtern« stammen. Diese »Nephilim« spielen in apokryphen jüdischen Überlieferungen eine wichtige Rolle und werden nach diesen Quellen auch im Film eingeführt.
Man könnte Paramount eine bewusste Täuschung vorwerfen, denn diese Riesen fehlen in den Trailern einfach, obwohl sie in den gleichen Einstellungen im Film zu sehen sind. Aronofsky selbst hat nie einen Hehl aus diesem Element seiner Geschichte gemacht: Sowohl in den Comics zum Film als auch in gelegentlichen Twitter-Meldungen sind sie aufgetaucht. So war ich selbst über ihren Auftritt auch nicht sonderlich überrascht, obwohl damit doch ein etwas befremdliches und vielleicht sogar unfreiwillig komisches Fantasy-Element in die biblische Geschichte hineingerät. Doch Aronofsky hat damit gleich zwei Probleme gelöst: Die Wächter helfen mit ihren gigantischen Kräften beim Bau der Arche und verteidigen sie schließlich gegen die anrückenden Soldaten Tubal-Kains: »Ich bin nicht allein!«
Es ist ein entscheidender Wendepunkt im Film, als Noah unerkannt in die feindliche Ansiedlung geht, um für seine Söhne Ham und Jafet nach Frauen zu suchen. Ursprünglich hatte er seinen Auftrag so verstanden, wie er auch in der Bibel wiedergegeben ist: Die Tierarten und seine eigene Menschenfamilie werden nach der Sintflut der Ausgangspunkt neuen Lebens auf der bestraften Erde sein. Nun erlebt er im Lager der Feinde hautnah die Boshaftigkeit und Verdorbenheit der Menschen, die ihre eigenen Kinder gegen Fleisch eintauschen. Entgegen der Vorwürfe, Aronofsky würde die Sintflutgeschichte als apokalyptisches Ökodrama verfilmen, glaube ich auch hier eine biblischere Umsetzung als noch im Comic zu erkennen: Nicht nur die Sünde gegenüber der Schöpfung wird betont, sondern ebenso das Verschwinden aller Menschlichkeit und die Auflehnung und Rebellion gegen Gott. Tubal-Kain sieht sich nicht nur als Ebenbild Gottes, sondern als ebenbürtig mit seinem Schöpfer – als Herrscher über Leben und Tod.
Nach seinem Erlebnis kehrt Noah zurück zur Arche und offenbart seiner Frau Naama die (durchaus sehr biblische) Erkenntnis: Das Böse steckt in jedem von uns. Ohne die Menschen könne sich die Schöpfung nach der Flut auf bessere Weise neu entfalten. Noah sieht seinen Auftrag nun darin, die Tiere zu retten und die Menschheit aussterben zu lassen. Zu seinem jüngsten Sohn Jafet sagt er: »Du wirst der letzte Mensch sein.« Gott schweigt dazu und Noah entwickelt sich – innerlich einsam – auf der Arche zum hartherzigen Patriarchen, der sich auch von seiner Frau und seiner Schwiegertochter Ila (zunächst) nicht erweichen lässt. Eine Schwangerschaft, ein Rettungsboot und ein blinder Passagier sind Elemente des Dramas an Bord der Arche, die der Fantasie der Autoren entspringen, die Geschichte aber emotional sehr aufwühlend werden lassen. Die Sympathie des Zuschauers für Noah schwindet, es entsteht eine Angst vor dem, was noch kommen könnte. Die schauspielerische Leistung der Akteure – vor allem von Jennifer Connelly als Naama – ist beeindruckend. Ein Anlehnung an die Abrahamsgeschichte bringt den dramatischen Höhepunkt der Geschichte – dann endlich siegt die Barmherzigkeit und die weiße Taube mit dem Olivenzweig im Schnabel kommt angeflogen. Endlich ein Zeichen Gottes nach einer schweren und einsamen Entscheidung.
Nach der Flut ist Noah ausgelaugt, berauscht sich am Wein und liegt entblößt vor seinen Söhnen. Das dunkelste Kapitel der Noahgeschichte aus der Bibel wurde also auch verfilmt. Nach allen inneren und äußeren Kämpfen, die sich auf der Arche ereignet haben, scheint diese Depression nur logisch. Und doch kehrt die Menschlichkeit zurück, die Versöhnung, die Hoffnung auf eine bessere neue Welt. Allerdings störte mich besonders, dass Ham seine Familie nun ohne eine Frau verlässt. Hier fehlt die Anbindung an die Geschichte nach der Flut, die Ausbreitung der Völker nach Genesis 10. Das Fehlen der beiden Frauen für Ham und Jafet, die quasi erst als Zwillingstöchter Sems geboren werden, ist in meinen Augen die größte erzählerische Schwäche des Films.
Wie ist der Film aus christlicher Sicht zu bewerten? Die Entwicklung Noahs auf der Arche verstört. Doch ist diese unbekannte Seite auch unbiblisch? Natürlich wird Noah in Hebräer 11 als großes Glaubensvorbild genannt. Aber kann er nicht seine dunklen Stunden gehabt haben – ebenso wie Abraham, Mose oder David?
»Ich bin nicht allein!« – Noah ist im Film über weite Strecken allein: Verlassen von Gott, von seiner Frau, seinen Kindern. Eine beklemmende Charakterstudie, die uns auch vor Augen führen kann, wie schwierig es manchmal ist, sich der Gegenwart Gottes bewusst zu sein.
Viele amerikanische Christen lehnen den Film mit scharfen Worten ab und warnen vor ihm. In vielen sachlichen Punkten haben sie durchaus recht. Aber beim Lesen dieser negativen Bewertungen habe ich mir eine Frage gestellt: Ähneln die urteilenden und sich ihrer wahrhaft bibeltreuen Sichtweise so sicheren Kritiker, die den Film als »Science-Fiction-Fantasy«, als »Verhöhnung von Gottes Wort«, als »Beleidigung für Christen«, ja, sogar als »schlimmsten Film aller Zeiten« bezeichnen, nicht ein stückweit dem hartherzigen und verbissenen Noah, wie er von Russell Crowe dargestellt wird? Wo ist die Milde, Barmherzigkeit und Liebe, die so berührend von Jennifer Connelly verkörpert wird? Im Film gewinnt diese gute Seite im entscheidenden Augenblick die Oberhand. Stünde sie nicht auch uns Christen bei der Beurteilung von Aronofskys Werk gut zu Gesicht?
Wer seine früheren Filme kennt – »The Fountain« oder »Black Swan« – erahnt, dass Regisseur Darren Aronofsky kein Missionar sein kann. Er ist auch kein Lehrer, sondern ein Erzähler – ein sehr eindringlicher. Vielleicht ist er auch ein Suchender und ein Lernender. Neben Umweltschutzorganisationen scheinen ihn auch der Dalai Lama und der Papst sehr zu inspirieren. Für einen, der offensichtlich nicht gläubig ist (Aronofsky gilt als konservativ-jüdisch geprägter Atheist), nimmt er die Bibel als Vorlage seiner Geschichte sehr ernst und achtete zum Beispiel bei der Konstruktion der Film-Arche sorgfältig auf die Angaben im ersten Buch Mose.
Auch wenn wir Christen Jesus als die Wahrheit – und die rettende Arche in der Verlorenheit unserer Zeit – kennen, wir sollten uns nicht anmaßen, für jede einzelne Frage die einzig richtige Antwort gefunden zu haben. Gott ist immer größer, tiefer und auch gnädiger, als wir es oft sind.
Ich empfinde diesen Noah-Film nicht in erster Linie als politisches oder ökologisches Statement – ich glaube, er ist eine sehr ernsthafte Auseinandersetzung mit einer der wichtigsten Geschichten der Menschheit. Mit einer heiligen Geschichte. Letztlich eine Suche nach Gott selbst, der den Machern so fern erscheinen mag, wie er im Film ist. Vielleicht sind sie ihm ein Stück näher gekommen.
Meine Nachforschungen über die Arche Noah und andere biblische Themen haben mich in meiner Überzeugung bestärkt, dass die Bibel Gottes wahres Wort ist. Sie ist historisch zuverlässig, enthält zahlreiche Prophezeiungen, die sich erfüllt haben, und ihr Menschenbild ist treffend und klar. Daher ist, so denke ich, auch ihre Botschaft wahr: Gott möchte sich von uns Menschen finden lassen. »Suchet, so werdet ihr finden« (Matthäus 7,7). Ich kann als Glaubender sagen: »Gott ist bei mir.« – »Ich bin nicht allein!«