Gestern hat die evangelische Nachrichtenagentur »idea« bei mir angerufen, um mich nach meiner Einschätzung zu einem »möglichen Fund der Arche Noah« zu fragen. Noch am Nachmittag wurde eine Pressemeldung veröffentlicht. Worum geht es?
Ein Team aus niederländischen, belgischen und türkischen Forschern hat im März 2014 Holzreste und Tonkrüge auf dem Ararat entdeckt. Sind es Überreste der Arche Noah? Mit einem aufwendigen Videotrailer versuchen sie unter der Internetadresse »www.insidemountararat.com« Spender zu gewinnen, die eine weitere, gründlichere Expedition zum Fundort finanzieren.
Nach meiner Einschätzung handelt es sich um den Fundort, an dem 2010 ein Forscherteam aus Hongkong Überreste der Arche entdeckt haben will. Der Archäologe Randall Price hat damals den Fund als Betrug entlarvt. Einheimische hätten dort eine Holzstruktur auf dem Berg installiert, die über den Winter dann mit Schnee und Eis überzogen wurde. Später hat Price die Stelle aufgesucht und Teile der »Installation« gesehen, die der Gletscher inzwischen wieder freigegeben hatte.
Ich zitiere aus meinem Artikel »Arche Noah – Made in China«:
Gemäß eigenen Aussagen gelang es Price, im Ararat-Gebiet einige kurdische Arbeiter ausfindig zu machen, die Parasut bei der Durchführung seines Arche-Projekts geholfen haben wollen. Mit Lastwagen, Maultieren und schließlich zu Fuß hätten sie etliche Holzteile auf den Berg geschafft, um daraus zwischen Felsen und Gletschereis eine »Arche« zu erbauen. Im Glauben, dass es sich um die Kulisse für Filmaufnahmen handelte, waren die Arbeiter froh über diesen Auftrag. Erst nach der Bekanntgabe des Fundes seien einige der Arbeiter verblüfft gewesen, dass man die Stelle als Fundort der »richtigen Arche« ausgab.
Im Auftrag von Parasut und mehrerer Komplizen hätten 30 Arbeiter schon eineinhalb Jahre zuvor mit dem Bau der Arche begonnen. Für die Errichtung der Konstruktion seien Schnee und Gletscheis weggeschmolzen worden, damit es nach einigen Monaten den Anschein erwecken würde, das künstlich gealterte Holz befinde sich schon seit langer Zeit im Eis. Kurz vor der NAMI-Expedition wären demnach die letzten Feinheiten erledigt worden, zum Beispiel wurden Stroh und Getreidesamen am Fundort platziert. Allerdings sind wohl nicht alle Fotos, die später präsentiert wurden, auf der Expedition entstanden. Einige habe Randall Price schon 2008 gesehen und augenscheinlich wurden sie an anderer Stelle aufgenommen. Auch das analysierte Stück Holz sei von anderswo.
Mit Hilfe eines kurdischen Arbeiters gelang es zwei Mitarbeitern von Randall Price, zur NAMI-Fundstelle zu gelangen. Die installierten Räume waren durch die Bewegung des Gletschers und durch Felsstürze inzwischen unzugänglich geworden. Don Patton fand jedoch ein Stück Holz, eindeutig ein auf alt getrimmtes modernes Brett – im Report sind Fotos davon zu sehen. Der »Fundort« soll sich an den Koordinaten 39.6876N, 44.2874E sowie 39.6877N, 44.2877E befinden (umgerechnet in Dezimalschreibweise).
Wenn die Holländer und Belgier, die nun diesem »Fund« auf der Spur sind, im März 2014 – also noch im Winter – an diesem Ort waren, waren wahrscheinlich einige der damals platzierten Holzstücke (und auch Keramik) wieder vom Eis umgeben. Sie haben also keine Überreste der Arche gefunden, sondern Reste dieser heimtückischen Fälschung. Bei einer genauen Untersuchung der Funde werden sie sicher feststellen, dass die Sachen nicht das erforderliche Alter haben.
Laut idea-Pressemeldung und auch in ihrem Video wehren sie sich gegen solche Kritik: Der belgische Arzt Marcel Verheyen, der zum Expeditionsteam gehörte: »Das ist völlig unmöglich. Das Terrain des Berges ist völlig unzugänglich, geschweige denn, dass man dort Holzbalken hinschleppen kann.« Der niederländische Archäologe Walter Tiemessen warnt angesichts der Funde vor voreiligen Schlüssen. Sie bedürften »einer sorgfältige Untersuchung frei von Vorurteilen«.
Ich bin mir nicht sicher, ob diese Forscher die Kritik von Randall Price und Don Patton überhaupt zur Kenntnis genommen haben. Damals wurden keine »Vorurteile« geäußert, sondern handfeste Belege präsentiert. Und auch die Ausrede, man könne keine Holzbalken auf den Ararat schleppen, ist nicht neu. Price widersprach schon damals und zeigte Bilder von einem Generator, den sein eigenes Team zum Gipfel transportiert hat und der »mehrere hundert Pfund wiegt.« Er und sein Team haben schweres Gerät auf über 4000 Meter Höhe transportiert, um dort ein zehn Meter tiefes und etwa drei Meter breites Loch in das Gletschereis zu treiben.
Da ich den Berg Cudi für den wirklichen Arche-Berg unter den »Bergen von Ararat« halte, bin ich überzeugt, dass auf dem Berg »Ararat« überhaupt nichts zu finden ist. Ich versuche aber, alle Meldungen möglichst unvoreingenommen zu prüfen. Auch zu der Expedition, an der Randall Price beteiligt war, habe ich in meinem Buch »Das Rätsel der Arche Noah« eine kurze Analyse geschrieben (S. 57f).
Bisher sind auf der Crowdfundig-Plattform von »InsideMountArarat« noch keine Spenden eingegangen. Wenn es so bleibt, müssen sich die Forscher wenigstens nicht auf der Suche nach einem Phantom unnötig in Gefahr begeben.
Timo Roller