Auf der deutschsprachigen Internetseite www.archa.ch und im Buch »Arche Noah – Die Geschichte der Entdeckung« des Pfarrers Paul Veraguth wird die auf den ersten Blick erstaunliche Entdeckung des Bibelforschers Ron Wyatt dokumentiert.
Es kann dort in der Schweiz auch eine Doppel-DVD bestellt werden, die einen über 90-minütigen Vortrag Verugaths, ein halbstündiges Interview mit Ron Wyatt und weitere Beiträge enthält [2].
Wyatts These ist schon etwas älter und stammt aus dem Jahr 1977. Er selbst ist bereits 1999 verstorben, andere haben seine scheinbar sensationellen – die englische Wikipedia spricht von »pseudoarchäologischen« – Funde wieder aufgegriffen. Zu diesen »Funden« gehören zum Beispiel auch die Bundeslade und Blutstropfen von Jesus Christus.
Die Arche-Fundstelle »Durupinar« sieht zunächst – vor allem aus der Satellitenperspektive – beeindruckend aus [3]: Ihre Form erinnert tatsächlich an ein Schiff. Die geologische Formation in der Osttürkei, 30 Kilometer vom Gipfel des Ararat entfernt, wurde nach dem türkischen Luftwaffenkapitän Ilhan Durupinar benannt, der die Stelle entdeckte, als er 1959 für die NATO die Gegend aus der Luft kartografierte.
Wyatt hatte die Fundstelle dann mehrmals untersucht und eindrucksvolle Rekonstruktionszeichnungen erstellt. Darauf zeigt er, wie die »Arche« im Lavastrom in sich zusammengefallen und versteinert sei. In der näheren Umgebung hat er zusätzlich einige »Ankersteine« entdeckt, die von der Arche kurz vor ihrer Landung abgeworfen worden seien, sowie den eigentlichen Landeplatz in einiger Entfernung oberhalb des jetzigen Fundorts. Von dort sei die Arche durch einen Lavastrom an ihre gegenwärtige Lage befördert worden. Dazu kommt die Entdeckung von »Noahs Farm« sowie eines Fingerknochens von Noahs Frau, der darauf schließen lasse, dass sie über drei Meter groß gewesen sei. (Dies wird übrigens auch an den anderen Plätzen behauptet, an denen Noah verehrt wird, z.B. an seinem »Grab« in Cizre.)
Ron Wyatt sah sich von Gott zur Entdeckung all dieser wichtigen Funde berufen, da die Endzeit einen geistlichen Kampf um die Wahrheit mit sich bringe [4]. Das Beweismaterial hielt er für überzeugend und auch seine Anhänger halten an der Authentizität des Arche-Fundes fest.
Die renommierten bibelorientierten Organisationen, die sich mit dem Spannungsfeld von Bibel und Wissenschaft auseinandersetzen, haben »Durupinar« allerdings längst als glaubwürdige Möglichkeit eines tatsächlichen Überrests der Arche Noah verworfen. Ein Artikel des Geowissenschaftlers Dr. Andrew Snelling aus dem Jahr 1992 widerlegt die Behauptungen, hier sei eine von Menschen hergestellte Schiffsstruktur entdeckt worden, in allen Einzelheiten [5].
Die »Studiengemeinschaft Wort und Wissen« hat sich zur Fundstelle 1993 mit einem Diskussionsbeitrag von Dr. John Morris geäußert, dem Leiter des »Institute for Creation Research« in Kalifornien: »Die Struktur, die zwischen zwei Hügeln am Rand einer größeren Erhebung ausgebildet ist, entstand, als Erde und Schlamm von den benachbarten Hängen abrutschten; es entstand ein stromlinienförmiges Gebilde. Es sei abschließend gesagt, dass es eine rundum zufriedenstellende geologische Erklärung für diese Struktur gibt und keinerlei Hinweise von archäologischer Bedeutung.« [6]
Im Vorwort zu meinem Buch kommentiert Prof. Dr. John Baumgardner, der an Wyatts Untersuchungen beteiligt war: »In den späten 1980er-Jahren hatte ich die Gelegenheit, zusammen mit einem türkischen Geologen die Stätte eingehend zu untersuchen. Mit geophysikalischen Methoden und Kernbohrungen konnten wir den Untergrund analysieren und Gesteinsproben gewinnen. Meine eindeutige Schlussfolgerung aus diesen Untersuchungen war, dass diese Formation lediglich eine natürliche geologische Besonderheit ist, entstanden durch eine Schlammlawine, die um ein erhöhtes Hindernis geflossen war und so diese mandelähnliche Form erzeugt hat. Obwohl ich zunächst die Hoffnung hatte, hier könnte die letzte Ruhestätte der Arche sein, haben wir nach den Ergebnissen der von uns durchgeführten Analysen diese Möglichkeit verworfen. Daher war die Untersuchung trotzdem wertvoll, denn nun kann Durupinar mit Sicherheit von weiteren Überlegungen ausgeschlossen werden.« [7]
Auch einige logische Widersprüche in Wyatts und Veraguths Ausführungen sowie die mangelhaft dokumentierten Originalfunde lassen daran zweifeln, dass Durupinar tatsächlich mit der Arche gleichzusetzen ist:
Einerseits wird erklärt, der kaum 30 Kilometer entfernte Ararat sei ein nachsintflutlich entstandener Vulkankegel, andererseits will man aber an der Erdoberfläche Behausungen entdeckt haben, in denen Noah mit seiner Familie lebte. Auch die Ankersteine müssten infolge der abfließenden Flut und der angeblich katastrophalen vulkanischen Aktivitäten von Sedimenten, Schlamm und Lava verdeckt sein und könnten nicht frei zugänglich in der Landschaft liegen.
Die Zeichnung eines Denkmals von Noah mit seiner Familie ist nicht mit einer Originalaufnahme dokumentiert.
Das Foto einer angeblichen Vernietung könnte einen versteinerten Ammoniten zeigen.
Wyatt gab an, auf den Ankersteinen seien acht Kreuze eingraviert gewesen, die Kreuzritter hätten so an die achtköpfige Noah-Familie erinnert. Tatsächlich gibt es aber zwischen drei und zwanzig Kreuze auf den unterschiedlichen Steinen, die Erwähnung der Zahl acht ist offensichtlich reine Willkür.
In den letzten Jahren (seit Snelling, Morris und Baumgardner den Fund 1992 widerlegten) konnten keine Indizien hervorgebracht werden, die dazu berechtigen würden, bei der dortigen Struktur ernsthaft von der Arche zu sprechen. Nichtsdestotrotz wurde in der Türkei an der Stelle ein Besucherzentrum gebaut und viele Christen halten an der Echtheit der »seltsamen bootsförmigen Gesteinsform im Ararat-Gebirge« [8] fest.
Timo Roller
[1] Timo Roller: »Das Rätsel der Arche Noah«, ab S. 59
[2] http://en.wikipedia.org/wiki/Ron_Wyatt, abgerufen am 10.11.2014.
[3] Google-Earth-Koordinaten: 39.4405N, 44.2346E.
[4] DVD »Ist das die Arche Noah?«, Interview mit Ron Wyatt
[5] https://answersingenesis.org/creationism/arguments-to-avoid/special-report-amazing-ark-expose/
[6] John D. Morris: »Die Suche nach der Arche Noah – Stand 1992«, http://www.wort-und-wissen.de/disk/d93/2/d93-2.pdf
[7] Timo Roller: »Das Rätsel der Arche Noah«, S. 9
[8] Paul Veraguth: »Arche Noah – Die Geschichte der Entdeckung«, S. 9