Gertrude Bell war eine der außergewöhnlichsten und einflussreichsten Frauen des 20. Jahrhunderts. Sie kannte die Bewohner des Nahen Ostens besser als jeder Mann aus der westlichen Hemisphäre. Und diese Kenntnis war die Grundlage dafür, wie nach dem Fall des 500 Jahre währenden Osmanischen Reiches die Grenzen neuer Staaten gezogen wurden. »Die Frau, die den Irak erfand«, »die erste Irakerin«: in den letzten Jahren berichteten auch deutsche Magazine wieder über die Engländerin, denn die Auswirkungen der 100 Jahre alten Grenzziehungen reichen bis heute und zählen teilweise zu den Ursachen der gegenwärtigen Konflikte.
Verglichen mit dem berühmten »Lawrence von Arabien« (1888–1935), der maßgeblich an dem von den Briten initiierten Aufstand der Araber gegen die Türken während des Ersten Weltkriegs beteiligt war und mit dem sie eng befreundet war, hat Gertrude Bell nur untergeordnete Bekanntheit erlangt. Sie war »Abenteurerin, Gelehrte, Spionin« – und nun hat ihr der deutsche Filmregisseur Werner Herzog ein Denkmal gesetzt: Umgeben von weiteren international berühmten Schauspielern verkörpert Oscarpreisträgerin Nicole Kidmann »die Königin der Wüste« – Gertrude Bell (1868–1926).
Vorgestellt wurde der Film bereits im Februar 2015 auf der Berlinale. Die Kritiken fielen nicht besonders gut aus. Das 125-minütige Epos wurde als »schwülstige Orientsaga« und »Schmonzette« bezeichnet, vor das breite Kinopublikum schaffte »Die Königin der Wüste« es nicht. Nun aber endlich war es mir möglich, den Film in einem kleinen Arthaus-Kino im nahegelegenen Kurort Schömberg zu sehen.
In meinem Buch »Das Rätsel der Arche Noah« spielt Gertrude Bell eine wichtige Rolle (siehe hier: Gertrude Bell und die Arche Noah), denn »die Verdienste von Gertrude Bell um die Erforschung des Cudi Dagh können nicht hoch genug eingeschätzt werden«. Sie war am 13. Mai 1909 auf dem Gipfel des Noah-Berges Cudi angelangt und hat spektakuläre Bilder und lebendige Schilderungen hinterlassen. Von dieser Reise jedoch und auch vom im Buch geschilderten Abenteuer am Finsteraarhorn in den Schweizer Alpen ist im Film nichts zu sehen.
Das bewegte Leben einer Frau wie Gertrude Bell in einen Kinofilm zu pressen ist naturgemäß eine große Herausforderung. Ihre Rolle als Archäologin kommt viel zu kurz und beschränkt sich weitestgehend auf die Begegnung mit Lawrence von Arabien an der Felsenstadt Petra. Die Liebesbeziehungen zu Henry Cadogan und später zu Charles Doughty-Wylie nehmen dagegen sehr viel Raum ein. Beide Beziehungen endeten unglücklich mit dem Tod der beiden Männer und Gertrude Bell blieb schließlich bis zu ihrem Lebensende 1926 unverheiratet.
Schlaglichtartig wird ihre politische Karriere dargestellt: durch ihre eindrücklichen Auftritte als britische Lady in der arabischen Männerwelt, ihre Gefangenschaft in der Wüstenstadt Ha'il und schließlich die Begegnung mit den späteren Königen Jordaniens und des Iraks sowie eines Fototermins vor den Pyramiden mit Winston Churchill, der später Premierminister Großbritanniens wurde.
Persönliches Fazit: Der Film ist sehr unterhaltsam für jemanden wie mich, der sich für das Leben von Gertrude Bell interessiert. Nicole Kidman spielt den »weiblichen Lawrence von Arabien« sehr glaubwürdig. Für Kinobesucher ohne tieferes Interesse an der Engländerin oder an der Entstehung des nahöstlichen Staatengefüges mag »Die Königin der Wüste« langweilig wirken. Ohne Altersbeschränkung ist er tatsächlich etwas zu harmlos und sogar für Kinder ein unbedenkliches Kinoerlebnis. Aber gerade für jüngere Zuschauer vielleicht eine eindrucksvolle Demonstration davon, wie sich die Rolle der Frau im 20. Jahrhundert grundlegend verändert hat.