Ein sehr lesenswertes Buch ist vor kurzem bei der Christlichen Verlagsgesellschaft Dillenburg erschienen. In »Haben sie wirklich gelebt?« gehen Karl-Heinz Vanheiden und Thomas Jeising vom Bibelbund der Frage nach, ob die biblischen Geschichten des Alten Testaments historisch zu verstehen seien.
Gerade an Personen wie Adam, Noah, Hiob, Mose und Jona scheiden sich die Geister und längst hat die historisch-kritische Bibelauslegung dazu geführt, dass nicht nur ein großer Teil der glaubensfernen Bevölkerung die Heilige Schrift für ein Märchenbuch hält. Auch viele Theologen und Christen – bis hinein in die evangelikale Szene – messen den ersten Kapiteln der Bibel allenfalls bildhafte Bedeutung und eine spirituelle Form von Wahrheit bei. Die Bibelkritik, so die Autoren, trage ihre Argumente oft so geballt vor, dass man sich leicht vorkommen würde, »als ob man trotzig Argumente ignoriert, die plausibel nachvollziehbar sind und überzeugend wirken.« (S. 23)
Das etwa 150 Seiten umfassende Buch schlüsselt zunächst diese Argumente gegen die Historizität der biblischen Personen in kompakter Form auf und zeigt ausführlich, warum diese Argumente zu kurz greifen. Leider gibt es keine Literaturhinweise und Quellenangaben im Buch, was vor allem in diesem Abschnitt wünschenswert wäre, um gegebenenfalls die theologische Diskussion vertiefend nachvollziehen zu können. Das Fazit der Autoren um die Auseinandersetzung ist deutlich: Die Verwandlung der realen Geschichte der Bibel in rein fiktive Vorstellungen, verändert auch den christlichen Glauben selbst. Christen, die keine historisch glaubwürdige Geschichte benötigen, »brauchen für ihren Glauben kein leeres Grab. Sie glauben die Idee der Auferstehung.« (S. 68)
Es folgen innerbiblische Argumente für die Historizität der Hauptfiguren. So gibt es zahlreiche Referenzen in alttestamentlichen Büchern, die auf die bekannten Erzählungen verweisen. Keine davon lässt irgendeinen Zweifel daran aufkommen, dass sich die Geschehnisse wirklich ereignet haben. Zum Beispiel bezeugt der Prophet Hesekiel in Kapitel 14 die Rechtschaffenheit von Noah, Hiob und Daniel (siehe S. 73). Auch im Neuen Testament gibt es solche Verweise, so werden z.B. in Hebräer 11 Noah, Mose und andere Glaubensvorbilder des Alten Testaments als eine »Wolke von Zeugen« angeführt (siehe S. 81, 90 und 17). Was wären Zeugen wert, die nie tatsächlich existiert haben?
Besonderes Gewicht hat natürlich, dass auch Jesus Christus die Vorväter des Alten Testaments für historisch hielt. Er bezog sich direkt auf Noah und die Flut, auf Mose und seine Bücher und auf das »Zeichen des Jona«, das er als Vorausschau auf sein eigenes Schicksal interpretierte (siehe S. 95 ff). Sollte sich Jesus geirrt haben? Oder hat er diese Aussagen wider besseres Wissen dem begrenzten Horizont seiner Zeitgenossen angepasst? Es ist ziemlich anmaßend, den Autoren der Bibel und ihren damaligen Lesern und Zuhörern einen Sinn für objektive Wahrheit abzusprechen, erkennt man doch bereits in vielen Formulierungen der Chronisten, Evangelisten und Briefeschreiber, dass es ihnen sehr wohl auf die Bezeugung auch der historischen Wahrheit ankam, auf der ihr Glaube an Christus beruhte. »Die Bibel selbst lässt keinen Zweifel daran offen, wie sie verstanden werden will, denn wir lesen in ihr sowohl Geschichtserzählung als auch Reflexion über diese Erzählung.« (S. 17)
Auch die Auferstehung Jesu will die Bibel geschichtlich verstanden wissen, wie 1. Korinther 15,14 beweist: »Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist auch unsere Predigt sinnlos und euer Glaube ist ohne Inhalt.« (Siehe S. 127)
Wenn man auf S. 13 bereits liest: »Auf dem Höhepunkt der Harry-Potter-Aufregung haben sich zahlreiche Menschen so stark mit den dort geschilderten Welten identifiziert, dass für sie die Grenzen [zwischen Realität und Fiktion] verschwammen«, darf zumindest bezweifelt werden, dass die Menschen heute ein besseres Gespür für historische Wahrheiten haben als vor über 2000 Jahren.
Paulus lässt zudem keinen Zweifel daran, dass auch Adam eine historische Person war, wenn er ihn Jesus Christus direkt gegenüberstellt: »Er schreibt vom ersten Menschen Adam und vergleicht ihn mit dem letzten Adam, nämlich Christus (1Kor 15,45)«. (S. 84) Am Ende des Buches wird hierzu die heilsgeschichtliche Perspektive ausgeführt: Die Parallele von Adam zu Jesus, die Paulus wiederholt beleuchtet, beweist: »Das Rettungswerk von Jesus Christus musste sich auf ein real vorhandenes Problem beziehen, sonst wäre es überflüssig gewesen.« (S. 139) Überschrieben ist das entsprechende Kapitel mit einem Fazit, das manchen Christen in heutiger Zeit zum Nachdenken bringen sollte: »Wer die Geschichte verliert, verliert auch Christus«. (S. 123ff)
Das Buch ist hauptsächlich an Christen gerichtet, was vor allem das spannende Kapitel über außerbiblische Bezüge auf die Menschen der Bibel beweist. »Wenn wir in diesem Kapitel danach fragen, welche Argumente von außerhalb der Bibel für ihre historische Wirklichkeit sprechen, dann können und sollen sich diese Argumente den biblischen nur an die Seite stellen. Sie sind den biblischen untergeordnet, weil wir es in der Bibel mit dem Wort Gottes zu tun haben, mit Gottes Wahrheit, unfehlbar und ohne Irrtum.« (S. 100) – Weniger dogmatische Formulierungen hätten dem apologetischen Werk möglicherweise für die Wirkung gegenüber kritischen Lesern gutgetan. Die Unfehlbarkeit der Bibel nicht als Voraussetzung, sondern als persönliche Erkenntnis und Überzeugung der Autoren würde Zweifelnden den Zugang wahrscheinlich erleichtern.
Dabei ist der kurze Ausflug in die Altertumsforschung sehr erhellend: Die Bibel berichtet über Personen und deren Umfeld aus archäologischer Sicht absolut authentisch – eine Abfassung imaginärer Geschichte Jahrhunderte später hätte sicherlich zu vielen Unstimmigkeiten mit den heutigen Erkenntnissen über die beschriebenen Epochen geführt. »Die gesamte Mosegeschichte erweist sich als passend für die Zeit und Umstände des sogenannten Neuen Reiches ab ca. 1550 v.Chr., soweit wir sie heute aus außerbiblischen Quellen erschließen können.« (S. 103) Und auch die Geschichte von Hiob zeichne sich dadurch aus, »dass sie den Leser in die Zeit der Patriarchen […] mitnimmt […] Es wäre sehr erstaunlich, wenn sie erst 1500 Jahre später einem klugen jüdischen Autor aus der Feder geflossen wäre.« Die Daten des Jonabuchs passen »genau in die historischen Rahmendaten der Geschichte Assyriens« (S. 106) Blicke man auf die zahlreichen rund um die Welt überlieferten Flutlegenden, »dann ist die beste und naheliegendste Erklärung dafür, dass es eine solche Flut und eine entsprechende Rettungsaktion tatsächlich einmal in alter Zeit gegeben haben muss.« (S. 111)
Die Tabelle auf S. 118 ff mit 50 Personen, die außerbiblisch belegt sind, ist offensichtlich einem Artikel aus der Biblical Archaeology Review (Ausgabe März/April 2014) entnommen, sie umfasst allerdings keine Personen, die zeitlich vor David einzuordnen sind. Außerdem beginnt sie ausgerechnet mit der Gleichsetzung des biblischen Schischak (König von Ägypten, siehe 1. Könige 11,40) mit Pharao Shoshenq I. Gerade diese Gleichsetzung kritisieren seit einigen Jahren die Vertreter einer revidierten Chronologie, die eine wichtige Grundlage ist für wichtige Übereinstimmungen von Erkenntnissen über das 2. Jahrtausend v. Chr. mit den Lebenswelten von Mose, Josef und sogar Abraham. (Dazu gibt es eine neue englischsprachige Ausarbeitung von Peter van der Veen und Peter James mit dem Titel »Solomon and Shishak«, relativ kompakt und viel leichter verständlich ausgeführt in »Von Ur bis Nazareth«, ebenfalls von Peter van der Veen. Siehe auch den Film »Hat die Bibel recht?«, der seit einiger Zeit auf Youtube zu sehen ist.)
Insgesamt ist »Haben sie wirklich gelebt?« ein sehr bereicherndes Buch, das Christen, die ihren Glauben mit Wissen verbinden wollen, sehr weiterhelfen kann. Man bekommt gute Argumente an die Hand, mit Zweifelnden oder Skeptikern ins Gespräch zu kommen – seien sie Mitchristen oder Atheisten. Das Buch zeigt meines Erachtens eindrucksvoll, dass das historische Verständnis der Bibel das plausibelste ist.
Die Seitenangaben beziehen sich natürlich auf das rezensierte Buch, das 2017 in der Christlichen Verlagsgesellschaft Dillenburg erschienen ist. ISBN 978-3-86353-468-4