Am Berg Noahs schwindet die Hoffnung

Ein persönlicher Blick auf den Südosten der Türkei

von Timo Roller

2.10.2018

Am 2. Oktober 2013 – heute vor genau fünf Jahren – kehrte ich aus der Türkei zurück, von der abenteuerlichsten Reise meines Lebens. Damals habe ich den Landeplatz der Arche gesehen, einen Vortrag auf dem »Noah-Symposium« an der Universität Sirnak gehalten, habe fremde Kulturen erlebt, ein zutiefst vom Islam geprägtes und doch äußerst vielfältiges Land – und bin der Geheimpolizei »ein Stück nach Westen begleitet« worden. Es gibt einen ausführlichen Reisebericht von damals, natürlich wurde auch mein Buch »Das Rätsel der Arche Noah« maßgeblich von jener einwöchigen Reise beeinflusst. Mit ein wenig Glück wäre es fast zu einer neuen Reise gekommen.

Vortrag auf dem Noah-Symposium 2013.

Die Universität Sirnak wird in wenigen Tagen wieder ein Symposium abhalten: Nicht wie damals speziell über den Noah-Berg Cudi Dagh, sondern über die Stadt »Silopi an der Schnittstelle dreier Länder« – ein Zeichen der Hoffnung in krisengeschüttelter Gegend? Die Stadt liegt in der Südosttürkei, direkt an der Grenze zum Irak und zu Syrien. Zufällig habe ich von diesem Symposium erfahren, als ich wieder einmal die Website der Universität Sirnak besuchte. Dank des »Google Translators« konnte ich die rein türkische Ausschreibung entziffern.

Die Stadt habe sich zu einem wichtigen Handelszentrum entwickelt, stand da. Im Laufe ihrer langen Geschichte sei die ganze Umgebung Heimat verschiedener religiöser und ethnischer Gruppen gewesen, bis hinauf in die kleinen Dörfer an den Hängen des Berges Cudi. In dieser Hinsicht habe es als Brücke zwischen Kulturen gedient. Über den Grenzübergang von Silopi nach Habur (Irak) werden heute – nach Angaben der Universität – Waren im Wert von 10 Milliarden Dollar pro Jahr exportiert. Man sieht noch ein großes Entwicklungspotential auf dem Weg zum Ziel, bis zum 100. Jahrestag der Türkischen Republik (im Jahr 2023) das 500-Milliarden-Dollar-Exportziel zu erreichen.

Inhalt des Symposium soll das soziale, kulturelle und religiöse Leben sein sowie auch das ökonomische Potenzial des Grenzgebiets. Die Veranstaltung soll mit den Themen Geschichte, Archäologie, Religion, Sprache, Literatur, Landwirtschaft, Tourismus, Handel sowie den grenzüberschreitenden Beziehungen zu den Nachbarländern zu einer Vision für die Zukunft beitragen.

Ich sah die Chance, dass ich als Teilnehmer des Symposiums vor fünf Jahren, als man mir und einigen andere Christen aus Westeuropa und Amerika große Wertschätzung entgegenbrachte, noch einmal eingeladen werden könnte und bewarb mich mit dem Thema: »Cudi Dagh – Berg grenzüberschreitender Hoffnung«.

Das Banner des Silopi-Symposiums, das Ende Oktober 2018 stattfindet.

In den letzten fünf Jahren ist viel passiert in der Gegend um den Berg Cudi und es herrscht Ausnahmezustand und eine weitgehende Nachrichtensperre. Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen in die Gegend, doch als Gast der Universität würde es nach meiner Einschätzung ein vertretbares Risiko sein.

Ich formulierte meine Gedanken zum Thema: Der Cudi Dagh als Symbol für eine Grenze der Zeit. Unserer Zeit, die wir aus der geschichtlichen Überlieferung kennen, und der Zeit vor der Sintflut, von der uns die Bibel und die mesopotamische Keilschrift berichten. Hier landete vor tausenden von Jahren die Arche – davon bin ich überzeugt. Vor den Menschen und Tieren, die aus der Arche traten, lag grenzenloses Land – genau jenes Land, auf dem heute die Grenzen dreier Länder aufeinander treffen.

Leider ist die Geschichte dieses Landes von Grenzlinien, Grenzstreitigkeiten und Kriegen zutiefst geprägt. Wahrscheinlich schon zu Zeiten Nimrods hatte sich hier mit dem Reich Aratta ein Gegenpol gebildet zur neu entstandenen städtischen Zivilisation des alten Babylonien. Urartu lag später jenseits der Grenzen von Assyrien, Sanherib bemühte sich, das heilige Gebirge in sein Reich zu integrieren, wie uns zahlreiche Felsreliefs am Fuße des Berges zeigen.

Zu persischer, römischer und parthischer Zeit führten durch dieses Land Grenzen – am Rande teilweise riesiger Reiche. Im Mittelalter gehörte die Gegend am Berg Cudi zu verschiedenen Reichen wie den Marwaniden, den Zengiden und Ayyubiden. Ab dem 16. Jahrhundert war sie Teil des Osmanischen Reiches. Die Bevölkerung war armenisch, assyrisch, kurdisch, türkisch, die Völker lebten manchmal mehr, manchmal weniger friedlich beieinander. Heute sind die Cudi-Berge türkisch, nicht weit ist es zur Grenze nach Syrien, hinter der Stadt Silopi beginnt der Irak. Ein »heiliger« Berg an Grenzen.

Und doch – so schrieb ich – könnte von hier die Hoffnung ausgehen, dass Grenzen überwunden werden, zwischen Ländern, zwischen Völkern. Grenzen des Denkens, des Verstehens und des Respektierens.

Die Bibel und das Gilgamesch-Epos berichten uns, dass Noah von der Arche Tauben ausfliegen ließ, um das neue Land zu entdecken. Nicht umsonst ist bis heute die Taube ein Zeichen des Friedens. Und der Regenbogen ist Zeichen der Hoffnung – Hoffnung, dass keine Sintflut mehr kommt mit weltweiter Zerstörung. Hoffnung, dass wir einen barmherzigen Gott haben, der seine Kinder liebt und der möchte, dass wir seine Liebe weitergeben. Wo könnte ein besserer Ort sein als hier für ein Zeichen von Hoffnung ohne Grenzen?

Ich deutete den besonderen Blick der Bibel auf das Sintflut-Ereignis an, der sich sehr von der Interpretation des Korans unterscheidet. Schon 2013, zwischen den Vorträgen, gab es für meine amerikanischen Mitchristen und mich die Gelegenheit, den interessierten muslimischen Gesprächspartnern den gnädigen Gott der Bibel zu bezeugen.

Muslime, Juden, Jesiden, Christen verschiedener Konfessionen verehren seit Jahrhunderten diesen Berg der Arche. Er verbindet die Religionen. Ich bin weit davon entfernt zu sagen, dass die Gläubigen dieser Religionen an denselben Gott glauben. In der Bibel der Juden und Christen handelt ein anderer Gott als im Koran. Allah ist Mohammeds falsche Vorstellung des wahren Gottes. Er nannte ihn zwar den »Allerbarmer«, doch von Barmherzigkeit gegenüber seinen Geschöpfen ist im Koran wenig zu spüren. Allah ist kein Gott der Liebe. Mohammed war ein Kämpfer, kein friedfertiger Mensch wie Jesus.

In der Geschichte der Sintflut sehen wir das ganz besonders: Zwar richtet Gott die Menschheit für ihre Sünde, aber nur in der Bibel ist zu lesen, wie traurig es Gott machte, als seine Geschöpfe sich gegen ihn auflehnten. »Und es reute den Herrn, dass er den Menschen auf der Erde gemacht hatte, und es bekümmerte ihn in sein Herz hinein.« (Genesis 6,6)

Und doch sind alle Menschen Nachkommen Noahs, wenn man die Geschichte für wahr hält – hier sehe ich eine Brücke zu Muslimen. Die Botschaft vom gnädigen Gott der Bibel wollte ich hineintragen in die muslimisch dominierte Veranstaltung und vielleicht in die Herzen der Teilnehmer. Verdeutlichen, dass trotz des schrecklichen Gerichts ein Gott der Liebe am Werk war, der die Menschheit und Tierwelt vor dem Untergang bewahrt hat und immer noch Zeichen der Hoffnung an den Himmel malt.

Natürlich war meine ganz persönliche Hoffnung auch, den Berg Cudi, mit dem ich mich seit so vielen Jahren im Rahmen meiner Forschungen befasse, noch einmal zu sehen, zu fotografieren und seine Umgebung zu erleben.

Cudi Dagh – ein Symbol der Hoffnung? Im Moment scheint die Situation hoffnungslos.

Es sollte nicht dazu kommen. In einer ersten Mail Anfang August zeigte sich das Büro der Universität zwar interessiert an einem Beitrag von mir und versicherte auch, dass in der Gegend keine Gefahr bestehe. Und doch erkannte ich schon gewisse Defizite gegenüber der Gastfreundlichkeit von 2013, als sogar die Reisekosten vom Veranstalter übernommen wurden. Als ich in einer weiteren Mail nach einigen Details fragte, bekam ich lange keine Antwort.

Der Sommer verstrich, die politische Situation in der Türkei brachte immer wieder negative Schlagzeilen. Aus kurdischen Quellen erfuhr ich, dass auch die Situation im Südosten regelmäßig eskaliert – fernab von der Aufmerksamkeit des Westens werden von der türkischen Armee Wälder am Berg Cudi in Brand gesteckt, um angebliche oder tatsächliche Terroristen auszuräuchern. Ohne Rücksicht auf Umwelt und Landwirtschaft werden die Einheimischen am Löschen gehindert. Auch Angriffe auf die Jesiden im Norden des Irak wurden geflogen. Zum grenzüberschreitenden Handel gehört eine überaus starke machtpolitische Einflussnahme der Türkei, der die kurdische Autonomie im Nordirak ein Dorn im Auge ist. Im Rahmen des Symposiums ist ein Ausflug in den Nordirak geplant. Das hätte mich natürlich sehr interessiert, aber nach den jüngsten Ereignissen erschien mir dieser Plan immer unverantwortlicher.

Im Blick auf ein mögliches Reisevorhaben hielt ich mich in den letzten Monaten sehr zurück mit Stellungnahmen zur politischen Lage in der Türkei, doch spätestens nun beim Besuch Erdogans in Deutschland wurde wieder einmal sehr deutlich, wohin die Türkei unterwegs ist: Nach dem Vorbild des Osmanischen Reichs soll die Vorherrschaft des muslimischen Türkentums ausgedehnt werden: Innerhalb des Landes gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten, in die Nachbarländer Syrien und Irak hinein und auch nach Deutschland, wo viele Menschen – auch mit deutschem Pass – sich zuallererst als Türken sehen und »ihrem« Präsidenten die Treue geschworen haben.

So macht das Thema der Universität traurigerweise einen überaus unglaubwürdigen Eindruck. Es schwindet die Hoffnung, dass die Grenzen nicht nur »überwunden« werden, um den Einfluss der Türkei auszuweiten. Zugleich lässt die Universität – soweit das aus der Ferne beurteilt werden kann – Professionalität vermissen. So zeigt die Website zum Symposium heute in einem Countdown zwar an, dass nur noch 23 Tage bis zum Symposium verbleiben, die Inhalte sind aber immer noch auf dem Stand von Ende Juli, als noch die Bewerbungsphase lief. Es ist nicht zu erkennen, welche Beiträge zu erwarten sind. Nach einer finalen Rückfrage wurde mir Mitte September aus dem Büro der Univesität mitgeteilt, man sei im Urlaub gewesen – wochenlang in der entscheidenden Phase der Vorbereitung.

Es ist traurig, keine Aussicht auf eine weitere Reise in absehbarer Zukunft zu haben. Und auch, dass wenig Hoffnung auf Besserung der politischen Situation besteht. Natürlich mischt sich dazu eine gewisse Erleichterung, in sicherem Abstand von allen politischen Querelen und militärischen Scharmützeln bleiben zu können. Und die Dankbarkeit, dass ich vor fünf Jahren dort sein konnte, um das Land mit seinen einzigartigen geschichtlichen Zeugnissen und vielen netten Menschen kennenzulernen. Es wird wohl vorläufig die Reise meines Lebens bleiben.

 

 

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