Hatte die Arche Noah Beine?

Kasten, Schiff, Truhe – was Arche-Wörter über die Form sagen (und was nicht)

von Timo Roller

14.10.2021

Ob die Arche Beine hatte? Eine seltsame Frage, die da auf der Titelseite des Magazins »Biblical Archaeology Review« [1] gestellt wird. Tatsächlich existieren Mosaikdarstellungen, Münzen und Bibelillustrationen, die Noahs Arche als hölzerne Box mit Beinen zeigen, als eine Art Truhe im ersten Jahrtausend nach Christus, als riesigen Kasten – oder eine Art Haus – mit den Originalmaßen aus der Bibel – und Beinen!

Rein statisch scheint es unwahrscheinlich, dass die Arche Noah auf Beinen stand, obwohl es einst Pfahlbauten mit teilweise beachtlicher Größe gab. Allerdings: ob die Arche eine Schiffsform hatte, ist ebenfalls fraglich. Im 1. Buch Mose heißt es nicht, dass die Arche gesteuert werden musste: »Und die Wasser nahmen überhand und wuchsen sehr auf Erden, und die Arche fuhr auf den Wassern.« (Kapitel 7,18) – Gott allein bestimmte offensichtlich, wo diese Fahrt auf dem weltumspannenden Meer hingehen sollte. Gott schloss die Tür der Arche auch hinter der Besatzung zu (Vers 16), er allein übernahm die Kotrolle.

Die Arche als Truhe mit Beinen: Darstellung auf einem Mosaik im türkischen Mopsuestia. (Foto: Klaus-Peter Simon, Wikipedia, Lizenz: Creative Commons Attribution 3.0 Unported)

Shelley Wachsmann, Autorin des Artikels in der »Biblical Archaeology Review«, geht nicht in erster Linie der realen Form einer historischen Arche auf den Grund, sondern dem hebräischen Grundtext der Bibel und seiner griechischen Übersetzung.

Folgende Bibelstellen sind Bestandteil ihrer Untersuchung:

1. Mose 6,14: »Mache dir einen Kasten von Tannenholz und mache Kammern darin und verpiche ihn mit Pech innen und außen.« – Mit diesem großen, schwimmfähigen Kasten ist die Arche gemeint, im Grundtext steht hier das hebräische Wort »Tievah«. Die Septuaginta-Übersetzung, die etwa 250 v.Chr. angefertigt wurde, hat das griechische »Kibotos«.

2. Mose 2,5 ist die einzige weitere Stelle in der hebräischen Bibel, an der das Wort »Tievah« verwendet wird: »Und die Tochter des Pharao ging hinab und wollte baden im Nil, und ihre Dienerinnen gingen am Ufer hin und her. Und als sie das Kästlein im Schilf sah, sandte sie ihre Magd hin und ließ es holen.« – Die Septuaginta übersetzt hier allerdings mit »Thibis«.

Dagagen verwendet die Septuaginta das griechische Arche-Wort »Kibotos« ein weiteres mal in 2. Mose 25,16: »Und du sollst in die Lade das Gesetz legen, das ich dir geben werde.« – im hebräischen Text steht hier »Aron«.

Dieses »Aron« findet in der hebräischen Bibel wiederum genau eine einzige weitere Verwendung, in 1. Mose 50,26: »Und Josef starb, als er hundertzehn Jahre alt war. Und sie salbten ihn und legten ihn in einen Sarg in Ägypten.«

Während im deutschen Sprachgebrauch und in eher kommunikativen Übersetzungen vier verschiedene Begriffe verwendet werden (Schiff, Bundeslade, Korb, Sarg), lässt die Luther-Übersetzung noch die Ähnlichkeit im hebräischen Grundtext erahnen: Das Wort Tievah beschreibt den »Kasten aus Tannenholz« (bzw. wörtlich »Gopherholz«) genauso wie das »Kästlein« im Schilf.

Im Englischen dagegen sind »Noah's Ark« und »the Ark of the Covenant« mit dem gleichen Begriff bezeichnet, genauso wie in der griechischen Septuaginta-Übersetzung, »Kibotos« steht dort für Arche und Bundeslade.

Shelley Wachsmann stellt fest, dass die unterschiedlichen Wörter insgesamt für »Holzbehälter zur Aufbewahrung wichtiger Objekte« stehen. Die Größe scheint bei den Bezeichnungen nur eine untergeordnete Rolle zu spielen.

Die Arche als Kiste, deren Deckel geöffnet ist, auf einer römischen Münze um etwa 245 n.Chr.

Der Einfluss der Septuaginta-Übersetzung auf antike Künstler wird deutlich: Die identische Begrifflichkeit für Bundeslade und Arche hat möglicherweise dazu geführt, dass die Arche – in Anlehnung an die Bundeslade – als eine Art Truhe dargestellt wurde. Und auch theologisch gibt es Gemeinsamkeiten: In beiden Fällen werden Auserwählte Gottes, die der Menschheit bzw. dem Volk Israel Errettung bringen, vor dem Untergang bewahrt [2].

Somit wird wohl kaum jemand die Beine am Kasten für eine historische korrekte Darstellung halten, aber die Arche so zu visualisieren, war offensichtlich für viele Künstler der vergangenen Jahrhunderte ziemlich naheliegend.

Abbildung der Arche in der »Uebersetzung der Algemeinen Welthistorie« von Siegmund Jacob Baumgarten (1744).

[1] BAR-Sommerausgabe 2021: »Did Noah's Ark Have Legs?«, siehe auch als PDF auf ResearchGate.

[2] siehe »Noah's Ark as Mosaic Tabernacle« von Mark und Angie Powell

 

 

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