Erschienen im Buch »Der Turmbau zu Babel«, herausgegeben von Aseba Deutschland e. V. und begleitend zur gleichnamigen Multimediaproduktion.
Der Turmbau zu Babel« gehört zu den bekanntesten Geschichten der Bibel – und doch ist es eine kurze Episode: Die Überheblichkeit der Menschen und die Entscheidung Gottes zur Sprachenverwirrung wird in gerade einmal neun Versen beschrieben. Insgesamt spielen sich die Ereignisse zwischen der Landung der Arche und der Berufung Abrahams geradezu im Zeitraffer ab: Die Turmbau-Geschichte ist eingebettet zwischen Völkertafel und Geschlechtsregister in den Kapiteln 10 und 11 des ersten Buchs Mose.
Aus der Antike kennt man ergänzende Texte zur biblischen Turmbau-Version. Geschichtsschreiber Flavius Josephus (ca. 37 bis 100 n. Chr.) beispielsweise erklärt, der Gewaltherrscher Nimrod habe die Menschen dazu verleitet, sich dem Gebot Gottes zu widersetzen, der die Menschen aufgefordert hatte, sich über die Erde auszubreiten. Aus Furcht vor einer neuen Flut – und Misstrauen gegenüber Gottes Versprechen, keine Sintflut mehr zulassen zu wollen – machten sich die Menschen im Lande Schinar daran, einen »Turm zu bauen, so hoch, dass die Wasserfluten ihn nicht übersteigen können«.
Im Buch »Der Turmbau zu Babel – Mythos oder Wirklichkeit?« hat Fred Hartmann Traditionen vieler Völker und Kulturen zusammengetragen, die Turmbausagen und das Motiv der Sprachverwirrung enthalten. Dazu hat er mehr als 60 Sagen ausgewertet und eine Fülle an Erzählungen scheint die Bibel zu bestätigen.
Eine Beschreibung Babels, also der Stadt Babylon, wie es ungefähr 500 v. Chr. ausgesehen hat, kurz nach der Zeit Nebukadnezars und Daniels, ist dem Geschichtsschreiber Herodot zu entnehmen. Allerdings wird heute vermehrt an dessen Glaubwürdigkeit gezweifelt, da manche Angaben übertrieben scheinen oder nur schwer mit dem archäologischen Befund in Einklang zu bringen sind.
In späteren griechischen Dokumenten ist überliefert, dass der Turm nach der Einnahme Babylons durch Alexander den Großen 323 v. Chr. abgetragen und eingeebnet worden sei, um ihn dann neu aufzubauen. Da Alexander wenig später starb, wurde das Vorhaben nie umgesetzt.
Babylon verlor an Bedeutung und fand nie wieder zu altem Glanz zurück. Aus jüdischer und später christlicher Perspektive, aber auch griechisch-römischer Sicht wurde der Orient mehr und mehr zum Sinnbild der Unterdrückung, des Größenwahns und der Dekadenz. Babylon ist bis heute das Symbol für Sünde und Unmoral, man denke nur an die Serie »Babylon Berlin«, in der Kriminalität, Prostitution und Drogenexzesse in den 1920er Jahren thematisiert werden.
Seit der Entzifferung der Keilschrift in der Mitte des 19. Jahrhunderts sind der Wissenschaft viele Texte zugänglich geworden, die aus erster Hand das Leben und die Bauwerke Babyloniens und Assyriens beschreiben – und nicht durch die Brille der jüdischen und griechischen Überlieferung. Einerseits wurde dadurch die Vertrauenswürdigkeit der biblischen und außerbiblischen Chronisten immer stärker angezweifelt. Andererseits entstand eine Fülle an neuen Erkenntnissen, die sich als Puzzleteile ins Gesamtbild von »Babylon« einzufügen haben. Mit diesem Spannungsfeld hat sich im Jahr 2008 eine große Ausstellung in Berlin beschäftigt, zu der zwei Ausstellungskataloge erschienen sind: »Wahrheit« und »Mythos«.
Für das Aussehen des Turms zur Zeit Nebukadnezars gibt es eine sehr eindrucksvolle Keilschrift-Quelle: Die sogenannte Esagila-Tafel stammt zwar aus späterer Zeit, etwa aus dem Jahr 229 v. Chr., doch handelt es sich um die Kopie eines neubabylonischen Dokuments aus Borsippa. Der Text beschreibt in religiös-mathematischer Form den Tempel Esagila, eines der Hauptheiligtümer in Babylon. Esagila steht in enger Beziehung zur Zikkurat Etemenanki, die beiden Gebäude sind quasi um 90 Grad gedrehte Abbilder voneinander. Im Ausstellungsband »Wahrheit« wird erläutert: »Etemenanki (›Haus, das das Fundament des Himmels und der Erde ist‹) wird im Text als Turm aus sieben Geschossen beschrieben, deren siebtes, ein Doppelgeschoss, der ›Tempel der Zikkurat‹ sei.« – Ähnlich wie auch Herodot berichtet die Tafel von einem »Bett des Gottes Marduk«.
Das beeindruckendste Fundstück ist die außergewöhnliche Turmbau-zu-Babel-Stele aus der Schøyen-Sammlung, die die Zikkurat zur Zeit Nebukadnezars nicht nur beschreibt, sondern sogar abbildet, in der Seitenansicht und als Grundriss. Der britische Wissenschaftler Andrew R. George hat diese Tafel genau analysiert, übersetzt und zu einigen anderen Keilschrifttexten von Nebukadnezar in Beziehung gesetzt. Demnach hat der König die Zwillingstürme in Babylon und Borsippa zu Ehren des Gottes Marduk vollendet, deren Auf- oder Umbau sein Vorgänger Nabopolassar begonnen hatte. Die Darstellung Etemenankis unterscheidet sich zwar im Detail ein wenig von den Angaben auf der Esagila-Tafel, bestätigt aber wie diese einen sieben- oder achtstöckigen Tempelturm, wie ihn schon Herodot beschrieben hat.
Wir haben also insgesamt ein relativ gut überliefertes Bild des Turms aus der Zeit Nebukadnezars, jedoch ohne klaren in Keilschrift überlieferten Bezug zu seiner Vergangenheit als Ort der Auflehnung gegen Gott und der Sprachenverwirrung.
Die schriftlichen Zeugnisse aus der Zeit vor dem assyrischen König Sanherib, der offensichtlich Babylon zerstört hat, sind eher dünn gesät. Viele Aussagen über die Frühzeit Babylons werden ins Reich der Legenden verwiesen. Nach der Untersuchung der archäologischen Überreste in Babylon und auch im 16 Kilometer entfernten Borsippa kommen wir auf diese Einschätzung zurück.
»Seit dem 16. Jahrhundert wusste man in Europa, dass es im alten Babylonien tatsächlich hohe Türme gegeben hatte, was die biblische Erzählung zu untermauern schien. Da mehrere solcher Türme im Zweistromland standen, wurde mal der eine, dann der andere als der ›wahre Turm von Babel‹ angesehen«, erklärt der Band »Wahrheit«. Zwar gab es ein Dörfchen mit dem Namen Babil und einheimische Araber und Juden wussten um die einstige Bedeutung dieses Ortes – doch die Reisenden aus dem Westen richteten ihre Blicke auf die Ruinen der zerfallenen Tempeltürme von Birs Nimrud oder Aqar Quf. Ersterer lag nur wenige Kilometer vom wahren Babylon entfernt und war der antike Schwesterturm von Borsippa. Zweiterer befindet sich heute in einem Vorort von Bagdad. »Die Verwechslung von Babylon mit Bagdad und die von Euphrat und Tigris zieht sich durch sämtliche Werke der großen Kartographen des 16. Jahrhunderts.«
Da zu dieser Zeit die Fundamente der Zikkurat von Babylon noch unter meterdicken Sandschichten verborgen waren, blieb die Suche nach dem echten biblischen Turm vorerst ein hoffnungsloses Unterfangen.
Erst die Arbeit von Robert Koldewey förderte 1913 – fünfzehn Jahre nach Beginn seiner Ausgrabungen in Babylon – »in einer senkenartigen Vertiefung« die Überreste von Etemenanki zutage. Im Vergleich zu den anderen monumentalen Bauwerken, die aus der Zeit Nebukadnezars übriggeblieben waren, zeigten sich die Überreste des Turms allerdings recht unscheinbar.
Insgesamt wurde durch die Grabungen Koldeweys die mächtige Struktur der Stadt ersichtlich: Der doppelte Mauerring um die Innenstadt bestand aus einer 3,25 Meter dicken äußeren und einer 6,50 Meter dicken inneren Mauer. Die äußere Stadtmauer war fast 5 Kilometer lang und bestand aus einer dreifachen Sicherung: einem Graben, der durch eine Böschungsmauer gesichert war, einer 8 Meter starken Mauer aus gebrannten Ziegeln und im Abstand von 12 Metern noch einer 7 Meter dicken Lehmziegelmauer. Es wird vermutet, dass dieser Abstand noch bis zur Höhe der Mauern aufgefüllt war und die gesamte Wehranlage somit fast 27 Meter breit gewesen wäre – Nebukadnezars Babylon war eine nahezu uneinnehmbare Festung! Die Südburg des babylonischen Herrschers wurde darüberhinaus ebenso freigelegt wie die imposante Prozessionsstraße und das Ischtar-Tor.
Viele Ziegelsteine dieser Bauwerke wurden nach Berlin verschifft, wo man heute im Pergamonmuseum die Rekonstruktion des Tores und eines Teiles der Prozessionsstraße bestaunen kann. Vom Turm, von dem nicht viel mehr als die Fundamente mit einigen Mauerresten gefunden werden konnten, ist ein Rekonstruktionsmodell ausgestellt.
Robert Koldeweys Ausgrabungsergebnisse wurden ab dem Herbst 1962 durch die Expedition von Hansjörg Schmid ergänzt, der schließlich 1995 die Publikation »Der Tempelturm Etemenanki in Babylon« als Gesamtübersicht aller bis dahin erlangten Erkenntnisse veröffentlichte. Da die archäologische Stätte nur noch wenige Überreste des Turms zu bieten hat und das Vordringen in tiefere Schichten aufgrund des hohen Grundwasserspiegels nur schwer möglich war, bemühte er sich, die Bauweise und die wechselhafte Geschichte durch Vergleiche mit den Überresten anderer Zikkurats sowie aus den überlieferten keilschriftlichen Zeugnissen und den Angaben antiker Chroniken zu rekonstruieren.
Dabei hat Schmid schließlich folgende Bauphasen vorgeschlagen:
Trotz der spärlichen Überreste des Turms zur Zeit Nebukadnezars und den kontroversen Diskussionen darüber geben das Mauerwerk der Ruine und vor allem der Vergleich zum Zwillingsturm in Borsippa doch Aufschluss über die ungefähre Bauweise. So stellt Allinger-Csollich die rhetorische Frage: »War es jetzt tatsächlich gelungen, die Denkweise der Babylonier, wenn schon nicht zu verstehen, so doch annähernd nachvollziehen zu können?«
Äußerst umstritten ist allerdings, welche Überreste der Ruine auf die Zeit vor Nebukadnezar und vor Sanherib zurückgehen. Der bauliche Befund wird unterschiedlich interpretiert und lässt kaum zuverlässige Schlüsse zu. Die schriftlichen Zeugnisse aus dem 2. Jahrtausend sind dünn, die noch früheren werden – wie bereits erwähnt – von den Forschern ins Reich der Mythen verbannt.
Die meisten Wissenschaftler und Theologen denken heute nicht groß über einen früheren Turm nach, denn sie sind der Meinung, dass es der Turm Nebukadnezars war, der den Juden während ihrer Gefangenschaft in Babylon im 6. vorchristlichen Jahrhundert als Inspirationsquelle für die »Legende« vom Turmbau diente. Kenah Cusanit schreibt in ihrem Roman »Babel«: »Nebukadnezar hatte vor, die größte Variante des Turms zu bauen, die es jemals gegeben hatte, und er wollte dies umsetzen mithilfe der Vorfahren derjenigen, die später den Pentateuch [5 Bücher Moses] komponierten und darin den Tempelbau verfluchten.« War es aber vielleicht ganz anders und die Geschichte vom Turm ist deshalb in der Bibel überliefert, weil sie sich tatsächlich zugetragen hat? Nebukadnezar hat den Tempelturm zu Ehren Marduks zwar neu errichtet, es gab aber schon »vorzeiten« ein Vorläufergebäude, betont Andrew R. George.
Die genaue Rekonstruktion der Baugeschichte in der Zeit vor Sanherib bezeichnet George als »problematisch«. Der Assyrerkönig eroberte Babylon im Jahr 689 v. Chr. und fügte dem zuvor bestehenden Tempelturm massive Zerstörungen zu. Seine Nachfolger Asarhaddon und Assurbanipal machten sich – möglicherweise nur zögerlich – an die Restaurierung.
Auch wenn der Name »Etemenanki« – und damit die ausdrückliche Bezeichnung für den Turm – in der Zeit vor Sanherib nur in sehr wenigen Dokumenten erwähnt wird, geht George davon aus, dass die Bezeichnung »Esagila«, die eigentlich für den Tieftempel steht, auch die Zikkurat umfasst haben könnte und es konzeptionell immer eine Gesamt-Tempelanlage gab. Der Fokus auf die Stadt Babylon und die vielfältigen Hinweise auf Marduk im Schöpfungsepos »Enuma Elisch« lassen George vermuten, dass der Turm von Babel schon in altbabylonischer Zeit existierte, denn eine erwähnte »Zikkurat des Apsu« sei mit großer Wahrscheinlichkeit der Tempelturm Etemenanki gewesen.
Handfeste archäologische Beweise für die Existenz Babylons finden sich tatsächlich schon in der Mitte des 3. Jahrtausends vor Christus, doch die genaue Bedeutung der Stadt in jener Epoche bleibt unklar.
Im »Fruchtbaren Halbmond« des Vorderen Orients waren Ackerbau und Viehzucht und damit die Grundlagen der Zivilisation entstanden. Die ersten Kulturen, Dörfer und Heiligtümer sind im kleinasiatischen Bergland nachweisbar. Datiert wird die neolithische Revolution auf die Zeit um ungefähr 10.000 v. Chr. Bis zur Entstehung der ersten Städte und der Erfindung der Schrift in der mesopotamischen Ebene sollen dann über 5000 Jahre vergangen sein. Während in der frühdynastischen Zeit noch wenig greifbare zeitgenössische Schriftzeugnisse zu finden sind und diese Periode erst später in Form von »Königslisten« mit einem angeblichen Verlauf der Geschichte beschrieben wurde, sei dann Sargon von Akkad als historische Person um 2350 v. Chr. historisch eindeutig greifbar.
Die konkreten Ereignisse im 3. Jahrtausend v. Chr., die mit Babylon zu tun haben, werden als »Gründungsmythen« angesehen, denn die Schreiber, die in späterer Zeit die Geschichte der Stadt aufzeichneten, konnten sich nicht mit einem recht bescheidenen Anfang zufriedengeben. So sei die Entstehung der »Chronik der frühen Könige« zu erklären, in der beschrieben wird, wie Sargon von Akkad die Stadt Babylon erobert habe, die von Alters her als heilig betrachtet und von ihm nun entweiht worden sei.
Der Verfasser einer fragmentarischen Inschrift von etwa 2500 v. Chr. »bezeichnet sich als Erbauer des Tempels des Gottes Marduk«. Dazu erklärt Prof. Dr. Béatrice André-Salvini, ehemalige Direktorin des Louvre in Paris, immerhin: »Es spricht daher einiges für die Annahme, dass Babylon eine sehr alte Stadt war, dass es in der Zeit der archaischen sumerischen Dynastien von Akkadern bevölkert und Sitz eines Stadtkönigs war. Mehr wissen wir nicht, denn archäologische Grabungen sind in diesen alten Schichten Babylons nicht möglich.«
Es wäre erstaunlich, wenn nicht spätestens Hammurabi im 18. Jahrhundert v. Chr., der Babylon zum Machtzentrum erhob, in Babylon eine Zikkurat zur Ehre des Stadtgotts Marduk errichtet hätte – denn auch in anderen Städten hat er vielfältig Ressourcen verbaut. Das führt die Geschichte des Tempelturms zurück bis mindestens ins frühe 2. Jahrtausend v. Chr. Es ist jedoch sehr gut möglich, dass der Turm – oder zumindest Ruinen davon – schon Jahrhunderte vorher existiert hatte und in den Gründungsmythen mehr Wahrheit enthalten ist, als der »Wahrheit«-Band glauben machen will.
Die starke Fixierung der Herrscher Babylons auf die Stadtgottheit Marduk bringt uns einer sehr alten sumerischen Überlieferung und schließlich einer biblischen Person auf die Spur – all dies wirft ein überraschendes Licht auf die Glaubwürdigkeit der Turmbau-Geschichte.
Der Ägyptologe David Rohl und der Historiker Werner Papke äußerten die Vermutung, dass Marduk die Vergöttlichung eines frühen Herrschers ist: Enmerkara, der König von Uruk und Großvater des berühmten Gilgamesch, sei einst zu dieser Gottheit erhoben worden. Dieser Enmerkara sei wiederum als »Enmer, der Jäger« zu interpretieren, aus der Bibel bekannt als Nimrod, »dem Jäger vor dem Herrn«.
Wenn diese Gleichsetzung stimmt, könnte sich aus dem Epos »Enmerkara und der Herr von Arata« eine Auseinandersetzung der städtischen Bewohner Sumers mit den verbliebenen Einwohnern des Berglands in der Gegend des Landeplatzes der Arche (heutige Südosttürkei) ableiten lassen. Arata könnte dem späteren Urartu entsprechen, dem biblischen »Ararat«. Dann wären wir aus biblischer Perspektive bei einem Epos über »Nimrod und den Herrn von Ararat«.
Interessanterweise wird in diesem Epos erzählt: »Damals, bis dass […] Enki, […] der Anführer der Götter, zur Weisheit berufen, der Herr von Eridu, ihr fremdartige Sprachen in den Mund gelegt hatte, war die Sprache der Menschheit eine einzige gewesen!« – Hier also ist endlich doch noch der keilschriftliche Hinweis auf die Sprachenverwirrung zu finden, wenn auch losgelöst vom Turmbau und der Stadt Babylon, aber immerhin im Zusammenhang mit dem Gründer von Babylon und Uruk, dem biblischen Nimrod und späteren Gott Marduk!
Denn Enmerkara war zwar der König von Uruk, doch wenn wir ihn mit Nimrod gleichsetzen, ergibt sich aus der Bibel, dass er weitere Städte gründete: »Und der Anfang seines Reichs war Babel, Erech (Uruk!), Akkad und Kalne im Lande Schinar. Von diesem Lande ist er nach Assur gekommen und baute Ninive und Rehobot-Ir und Kelach, dazu Resen zwischen Ninive und Kelach. Das ist die große Stadt.« (1. Mose 10,10–12).
So könnte nach der Sprachenverwirrung Nimrod weitergezogen sein und weitere Städte gegründet haben. Einige Tempeltürme und auch in Ägypten die Pyramiden wurden nach dieser Zeit gebaut, die Geschichte wurde zur Legende und verteilte sich mit den Menschen und ihren größenwahnsinnigen Turmbauprojekten um die ganze Welt. Noch heute werden voller Selbstvertrauen Gebäude errichtet, die bis in den Himmel reichen – oder zumindest bis zu einer Höhe von über 800 Metern.
Eine mit der Bibel kompatible Version der Geschichte Babylons lässt sich durch die dargestellten wissenschaftlichen Erkenntnisse kaum widerlegen, sondern harmoniert im Gegenteil mit ihr. Die Geschichte Mesopotamiens hat überraschende Berührungspunkte mit dem biblischen Bericht, die ersten Siedlungen der Menschheit sind nicht weit von dem Berg entfernt, der laut Tradition als Landeplatz der Arche Noah bekannt ist, dem Berg Cudi Dagh im Bergland Ararat.
Objektiv gesehen ist es eine gewagte These, die Juden hätten während ihrer Gefangenschaft in Nebukadnezars Babylon unter dem Eindruck der imposanten, 90 Meter hohen Marduk-Zikkurat ihren eigenen Schöpfungs- und Urgeschichte-Mythos erfunden. Vielleicht ist diese angebliche »Wahrheit« in Wirklichkeit der »Mythos«! Sollten die Juden, die an den Wassern von Babel saßen, weinten, sich nach Jerusalem sehnten und Babel als »Verwüsterin« verfluchten (siehe Psalm 137), tatsächlich so leichtfertig fremde Legenden übernommen haben? Das Buch Daniel beschreibt eindrucksvoll, mit welcher Glaubensstärke die jüdischen Verschleppten den fremden religiösen Einflüssen standhielten.
Es spricht vieles dafür, dass schon lange vor dieser Zeit der babylonischen Gefangenschaft die Menschen tatsächlich von Babel aus in alle Winde zerstreut wurden. Möglicherweise mit der Ausnahme jener Bergbewohner, die in der Nähe der Arche blieben und die offensichtlich die Vorfahren Abrahams waren.
Nutzten diese in der bergigen Heimat Gebliebenen noch die Ursprungssprache, die dann von der Verwirrung verschont blieb? Roger Liebi vermutet in seinem Buch »Herkunft und Entwicklung der Sprachen«, dass diese Sprache Hebräisch war und belegt dies durch »Wortspiele in den Anfangskapiteln des ersten Buches Mose« sowie eine »Evangeliumsbotschaft der Namen« der zehn vorsintflutlichen Patriarchen. Desweiteren führt er die grundlegende Verschiedenheit der vielen Sprachen auf der Erde aus, die keine Abstammung voneinander erkennen lassen und auch keine Höherentwicklung. Er findet ein wie in der Bibel bezeugtes »Flaschenhals-Ereignis« plausibler als eine Entstehung der Sprachen durch Evolution: »Der komplizierte und umfassende Aufbau der Formenlehre des Sumerischen, des Akkadischen und des Ägyptischen steht in eindrücklichem Gegensatz zu den z. T. vergleichsweise extrem simplen morphologischen Strukturen in der Formenlehre der modernen Sprachen, die im 21. Jahrhundert n. Chr. im Abendland gesprochen werden.«
Was ist Mythos – was ist Wahrheit? Das Gesamtbild des Turms von Babel, dass sich aus den Puzzleteilen der Archäologie ergibt, ist ein Bild, das mit dem Turmbaubericht der Bibel und mit der ganzen von ihr überlieferten Frühgeschichte der Menschheit zusammenpasst. Im Gegensatz zu vielen Mythen, die es in grauer Vorzeit gab, die es aber auch im heutigen Wissenschaftsbetrieb immer noch gibt, zeichnet sich die Wahrheit darin ab, dass die archäologischen Fakten und die Worte aus der Bibel in überraschender Weise übereinstimmen. Und nicht nur der Turmbaubericht ist wahr, sondern auch, was die Bibel von den Propheten bis zur Offenbarung über Babylon erzählt: Die Stadt war geprägt vom Größenwahn. Beispiele gibt es viele: Sanherib, Nebukadnezar, Alexander der Große oder Saddam Hussein. In Gottes Augen ist Babylon eine Art Gegenentwurf zu seiner erwählten Stadt Jerusalem – ein Anti-Jerusalem.
Den Grundstein dieses Größenwahns legte einst am Fuße des Tempelturms von Babel ein Herrscher namens Nimrod, »der Erste, der Gewalt übte auf Erden.« (1. Mose 10,8)
Timo Roller