»Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde« (1. Mose 1,1) – diesen Satz kennt fast jeder, mit ihm beginnt der Schöpfungsbericht der Bibel. Die Geschichte vom paradiesischen Garten Eden ist bekannt, obwohl sie von vielen in das Reich der Mythen und Legenden einsortiert wird.
Und trotzdem: Dieses Zeugnis von den Anfängen der Menschheitsgeschichte lässt sich mit archäologischen Erkenntnissen in Einklang bringen, sodass sogar das – sonst eher bibelkritische – Nachrichtenmagazin Der Spiegel in der Ausgabe vom 3. Juni 2006 schreibt: »Seit Langem prüfen Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, ob die Geschichte aus der Bibel einen historischen Kern hat – jetzt scheinen Archäologen fündig geworden zu sein.« Beschrieben werden zum einen die Erforschungen des britischen Ägyptologen David Rohl, der die Ortsbezeichnungen der Bibel im Norden des Iran, am Urmiasee, wiederentdeckt hat. Zum anderen die Entdeckungen des Berliner Archäologen Klaus Schmidt, der in derselben Gegend die ältesten Bauerndörfer mit mehreren monolithischen Tempelbauten und die frühesten Spuren des Ackerbaus entdeckt hat. Darüber hinaus gibt es in den alten Hochkulturen Mesopotamiens auch schriftliche und bildliche Darstellungen biblischer Motive wie Schöpfung, Sündenfall und Sintflut.
Die geografischen Angaben der Bibel zum Garten Eden sind einfach und aus heutiger Sicht dürftig. Zu viele Jahrtausende trennen uns von den Ereignissen, zu wenig sind wir mit den Ortsangaben der Frühzeit vertraut. Doch David Rohl hat manche Angaben in altislamischen Schriftquellen und sogar in modernen Landschaftsnamen im Iran wiederentdeckt.
Siegel aus dem Britischen Museum in London. Alle drei Elemente des Sündenfalls sind auf diesem mesopotamischen Rollsiegel (um 2200 v. Chr.) enthalten: zwei Menschen, ein Baum und eine Schlange (Die zweite Schlange entsteht durch das Abrollen des Siegels, das Motiv wiederholt sich dann).Sehen wir uns den Text aus 1. Mose 2,8–14 genauer an:
Dann pflanzte Gott, der Herr, einen Garten in Eden, im Osten gelegen. Dort hinein brachte er den Menschen, den er erschaffen hatte. Und Gott, der Herr, ließ alle Arten von Bäumen in dem Garten wachsen – schöne Bäume, die köstliche Früchte trugen. In der Mitte des Gartens wuchsen der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Ein Fluss entsprang in Eden, der den Garten bewässerte und sich dann in vier Arme teilte. Einer dieser Arme heißt Pischon, der um das Land Hawila fließt, wo Gold zu finden ist. Das Gold jenes Landes ist außergewöhnlich rein; dort findet man auch Bedolachharz und den Edelstein Schoham. Der zweite Arm heißt Gihon, der um das Land Kusch fließt. Der dritte Arm ist der Tigris, der östlich von Assyrien fließt. Der vierte Arm heißt Euphrat.
Rohls Theorie besagt, Eden müsse im Gebiet des heutigen Iran liegen, genauer gesagt in der westiranischen Provinz Aserbaidschan – nicht zu verwechseln mit dem angrenzenden Staat Aserbaidschan – sowie dem Gebiet Kurdistan. Kerngebiet des sich über ein weites Gebiet erstreckenden »Gartens« ist nach dieser Theorie das Tal um die Stadt Täbris, zwischen dem Urmiasee und dem Kaspischen Meer gelegen.
Eden (Übersicht): 38.1782N, 43.5216E – Sichthöhe: etwa 900 Kilometer. Das Gebiet zwischen Euphrat und dem Kaspischen Meer könnte Schauplatz der Schöpfung des Menschen gewesen sein.Der Euphrat ist der modernen Welt bekannt. Und er war immer bekannt; mit seiner Länge von 2736 Kilometern ist er der längste Strom Vorderasiens. Daher hielt es Mose auch nicht für nötig, eine nähere geografische Beschreibung hinzuzufügen, wie er es bei den drei anderen Flüssen tat. Der Euphrat entspringt im Südosten der Türkei und fließt durch das türkische Bergland, danach durch Syrien und den Irak. Er vereinigt sich schließlich mit dem Tigris zum Schatt al-Arab, der nach 193 Kilometern in den Persischen Golf mündet und die Grenze zwischen dem Iran und dem Irak bildet.
Auch der Tigris, der »östlich von Assyrien« fließt, ist heute noch bekannt. Er ist 1899 Kilometer lang, entspringt im Zagros-Gebirge im Süden der heutigen Türkei, fließt an der Grenze zu Syrien entlang, danach ebenfalls durch den Irak und mündet schließlich zusammen mit dem Euphrat in den Persischen Golf. Nach Euphrat und Tigris ist das »Zweistromland« benannt, in dem sich einige der ersten Hochkulturen bildeten, was auch außerbiblische Quellen belegen.
Der an zweiter Stelle im biblischen Bericht erwähnte Strom, der Gihon, ist heute unbekannt und eine Suche auf der Landkarte endet ohne Ergebnis. Und doch – der Gihon ist nicht ganz verschollen: Der Fluss Araks war in frühislamischer Zeit als Gaihun bekannt und fließt ins Kaspische Meer. In Karten des vergangenen Jahrhunderts werden die beiden Bezeichnungen noch gleichgesetzt.
Nun fehlt noch der erste Strom: Pischon, der um das Land Hawila fließt. Es wurde schon vermutet, dass es sich um einen Fluss handelt, der am Pontischen Gebirge in der Türkei ins Schwarze Meer fließt. Die Quellen aller vier Flüsse wären dann ziemlich kompakt im selben Gebiet. David Rohl glaubt hingegen, dass der Qezel Uzun (Kisil Usen) gemeint ist. Auch er hat seinen Ursprung in diesem Gebiet. Er entspringt östlich des Urmiasees und mündet schon nach wenigen Kilometern ins Kaspische Meer. Interessant an dieser Interpretation ist, dass die Flüsse nun der Größe nach geordnet sind, der erste Strom ist der kleinste, der vierte – der Euphrat – der größte.
Es gibt aber noch ein Problem mit dem Bibeltext: Von Eden soll ein Strom ausgegangen sein, der sich in »vier Arme« teilte. Auch hier wurde eine Erklärung gefunden: Dieser Hauptstrom könnte der Meidan Chay sein, der durch die Stadt Täbris in den Urmiasee fließt. Das Wort im hebräischen Urtext bedeutet »Quellort« oder »Kopf«, nach damaligem Verständnis könnte der Urmiasee als Quellbecken der vier Paradiesflüsse verstanden worden sein. Das Motiv von zwei oder vier Strömen als Quellorte einer Gottheit findet sich bei verschiedenen früheren Völkern in Vorderasien. Vielleicht haben sich aber auch die geologischen Zusammenhänge seit damals verändert.
KOORDINATEN: Täbris (Übersicht): 38.0819N, 46.2950E
Im Zentrum Edens angelangt, führt der virtuelle Flug in die Millionenstadt Täbris. Seit Ende 2006 bildet Google Earth die Stadt und Teile der Umgebung hochauflösend ab und man sieht schön die bergige Gegend im einstigen »Paradies«. Täbris ist die Hauptstadt der iranischen Provinz Ost-Aserbaidschan und ein wichtiges kulturelles Zentrum. Die Stadt mit ihren 1,3 Millionen Einwohnern ist bekannt für ihre Teppichherstellung, Silber- und Lederarbeiten sowie für ihre Universitäten. Erdbeben zerstörten die meisten historischen Monumente der Stadt. Die Blaue Moschee aus dem Jahre 1465 wurde restauriert und ist neben der Ruine einer Zitadelle die bekannteste Sehenswürdigkeit der Stadt.
KOORDINATEN:
Täbris (Blaue Moschee): 38.0734N, 46.3010E
Täbris (Zitadelle): 38.0725N, 46.2890E
Vulkan Sahand: 37.7067N, 46.3631E
Urfa/Edessa: 37.1690N, 38.7824E
Haran: 36.8643N, 39.0322E
Göbekli Tepe: 37.2094N, 38.9157E
Südlich der Stadt Täbris liegt der Vulkan Sahand mit 4000 Metern Höhe, den Rohl mit dem Berg Gottes in Verbindung bringt, der laut Hesekiel 28,12–16 im Paradies existiert haben muss.
Interessant sind die Erforschungen im sogenannten Kerngebiet des Ackerbaus: Nahe Urfa und Haran in der heutigen Türkei liegt der Göbekli
Tepe (deutsch: Nabelberg), der nach neuesten Erkenntnissen die älteste Tempelanlage der Welt enthält. Auf der Kuppe des kahlen Hügels standen einst dicht an dicht Heiligtümer, von denen der Archäologe Klaus Schmidt bereits vier ausgegraben hat. Die Standorte von sechzehn weiteren wurden mit Magnetometern ausfindig gemacht und sollen ebenfalls noch freigelegt werden. Nach den Vermutungen der Wissenschaftler sind die Tempel älter als alle menschlichen Dörfer überhaupt und sollen aus einer Zeit stammen, in der die Menschen sich noch nicht vom Ackerbau, sondern ausschließlich vom Jagen und Sammeln ernährten. Über die Religion, die dort ausgeübt wurde, ist noch nichts bekannt, gefunden wurde aber eine »Paradiesplakette« mit der Abbildung eines Baumes und einer Schlange. Die angebeteten Götter scheinen sich auch von den Götzen der Sumerer zu unterscheiden. Vielleicht wussten diese Gläubigen noch von dem einzigen Gott, der die Menschen als Mann und Frau im Garten Eden erschaffen hat, bevor sich in der frühen Zivilisation die in der Bibel erwähnte Abkehr von Gott ausgebreitet hat.
David Rohl ist ein britischer Ägyptologe und Archäologe. In Deutschland ist er vor allem durch seine Suche nach dem Garten Eden bekannt geworden, von der das ZDF und »Der Spiegel« ausführlich berichteten.
Zwischen dem Urmiasee und dem Kaspischen Meer, wo heute die Stadt Täbris liegt, hat David Rohl geografische Verhältnisse vorgefunden, die überraschend genau mit der biblischen Überlieferung übereinstimmen.
Nach der biblischen Chronologie hat sich die Vertreibung aus dem Paradies um etwa 5000 v. Chr. ereignet. Zu jener Zeit hat nach anthropologischen Erkenntnissen die »neolithische Revolution« stattgefunden: Die Jäger und Sammler hätten damals ihr Nomadenleben aufgegeben, erste Hochkulturen seien entstanden.
In Keilschrifttexten und auf Tontafeln hat Rohl aus der Bibel bekannte Begriffe und Symbole in eben jener Gegend wiederentdeckt und identifiziert.
Außerdem hat sich David Rohl in Zusammenarbeit mit mehreren Fachkollegen mit der ägyptischen Chronologie befasst. Ihre Vorschläge dazu sind im Kapitel Ägypten von Bedeutung.