Nachdem an einer langen Erdgeschichte durchaus fundierte Kritik geübt werden kann (siehe Teil 1 dieses Beitrags), aber dennoch bisher keine befriedigende Lösung einer geologischen Einordung der Sintflut in Sicht war (siehe Teil 2), soll in diesem dritten und letzten Teil untersucht werden, welche neuen Perspektiven der Berg Cudi als Landeplatz der Arche in die Diskussion einbringen kann.
In einer früheren Auflage des Buches »Sintflut und Geologie« beschreibt Manfred Stephan das sogenannte »Ararat-Problem«:
»Der Ararat selbst ist ein geologisch junger Vulkanbau, die Eruptionen erfolgten z.T. noch nach der Eiszeit. Am Ararat finden sich auch paläozoische und mesozoische Sedimente. Die Gebirge rings um den Ararat, das Zagros-, Taurus- und Munzur-Gebirge und der Kaukasus wurden erst im Tertiär gefaltet, hauptsächlich durch die Kollision der afrikanischen mit der eurasischen Platte. Nach dem Kambrium-Perm-Modell war die gesamte Region von heftigen nachflutlichen Veränderungen (Überschwemmungen, Vulkanismus, Gebirgsbildung) betroffen, denen sich Noah und seine Nachkommen nicht hätten entziehen können. Die geologische Formung des Gebietes musste demnach weitestgehend abgeschlossen gewesen sein, als Noah die Arche verließ, sonst wäre sein Überleben ebenso ein Wunder wie die Bewahrung während der Flut. (Die Bibel spricht übrigens nicht vom Berg, sondern vom Gebirge Ararat, z.T. auch vom Land Ararat.)« [1]
Wenn also Reste der Arche am tatsächlichen Landeplatz gefunden würden oder noch in geschichtlicher Zeit nachweisbar wären, könnte man dies kaum mit den geologischen Modellvorschlägen zur Sintflut in Einklang bringen, die ein Ende der Flut spätestens mit dem Ende des Tertiärs annehmen (Kambrium-Tertiär-Modell).
Mein Vorschlag, den Berg Cudi als Landeplatz der Arche anzusehen, würde gegenüber dem Vulkankegel Ararat von ganz anderen geologischen Voraussetzungen ausgehen und hätte daher einen entscheidenden Einfluss auf die Diskussion um die geologische Einordnung der Sintflut: Da das Gestein des Cudi, die sogenannte Cudi-Gruppe, eine Schichtenfolge umfasst, die überwiegend aus Kalkstein und Dolomitgesteinen besteht, eingeordnet zwischen Ladinium (Mitteltrias) und Coniacium (Oberkreide), können die Sedimente des Erdmittelalters nicht nach der Sintflut abgelagert worden sein. Auch die Auffaltung der anatolischen Gebirge im Tertiär legt nahe, dass dieses Ereignis zum Ende der Sintflut geschehen sein könnte. Die Auffaltung müsste vor der Landung der Arche abgeschlossen und nahezu zum Stillstand gekommen sein, damit sie und ihre Insassen auf dem Gipfel des Berges überleben konnten. Die großen Prozesse des Tertiärs müssten bereits abgeschlossen gewesen sein.
Detaillierte Untersuchungen der Gegend um den Berg Cudi hat, wie schon erwähnt, Prof. Dr. Friedrich Bender vorgenommen, der von 1975 bis 1985 Präsident der Bundesanstalt für Bodenforschung war. Anfang der 1950er-Jahre arbeitete Bender als Geologe in den kurdischen Gebieten der Türkei.
Bender ging nicht von einer biblisch orientierten kurzen Erdgeschichte aus und versuchte nach seinen Entdeckungen am Cudi Dagh, die in Kapitel 21 von »Das Rätsel der Arche Noah« ausführlich beschrieben werden, und noch nach seiner Pensionierung bis in die 1990er-Jahre hinein vergeblich, die Arche-Noah-Geschichte mit den durch Woolley entdeckten Spuren einer Überschwemmung Mesopotamiens und »geologisch ganz jungen Krustenbewegungen in Ostanatolien« in Einklang zu bringen.
Ein Manuskript zu einem gekürzt veröffentlichten Artikel [2], das mir Benders Frau zur Verfügung stellte (der Text ist in Anhang 3 des Buches in voller Länge veröffentlicht), führt die Geologie und Geomorphologie am Cudi Dagh weiter aus:
Demnach besteht das Gebirge überwiegend aus Kalksteinen, die in den erdgeschichtlichen Perioden des Jura und der Kreide entstanden sind. Durch tektonische Vorgänge wurden die Schichten aufgefaltet und teilweise von Sedimenten des Tertiärs überlagert. Im Süden werden die Kalksteine von spättertiären Sedimenten überlagert. Darüber folgen zwischen den Flüssen Tigris und Zab Hochterrassenschotter und terrassierte Schuttfächer. Auch diese sind tektonisch verstellt. Friedrich Bender konnte drei verschiedene Terrassenniveaus zwischen dem Gebirgsrand auf 1000 Metern über dem Meeresspiegel und dem Tigris auf 500 Metern ausgliedern.
Wenn man davon ausgeht, dass die Arche tatsächlich auf dem Cudi gelandet ist und dort einige Jahrhunderte oder gar Jahrtausende nach der Flut überdauert hat, zeigen die Forschungsergebnisse Benders, dass ein Sintflutmodell, das das Ende der Flut ins Erdmittelalter (Kambrium-Kreide-Modell) oder gar ins Erdaltertum (Kambrium-Perm-Modell) legt, absolut ausgeschlossen ist, da damit die Kreidekalke, auf denen die Arche gelandet wäre, erst nach der Sintflut entstanden sein könnten.
Somit gelangen wir zu der Annahme, dass sich das Ende der Flut etwa am Ende des Tertiärs befindet und sich die Gegend auch noch während des darauffolgenden Quartärs geologisch nicht ganz beruhigt hat. Dann könnten, wenn man die Plattentektonik in Betracht zieht, tatsächlich alle Berge überflutet gewesen sein, da sich die Hochgebirge (z.B. Alpen und Himalaya) erst zum Ende des Tertiärs aufgefaltet haben – und damit möglicherweise ein Ergebnis der geologischen Vorgänge der Sintflut sind.
Das Ende der Flut zu diesem Zeitpunkt nimmt auch Roy D. Holt an, der in einem ausführlichen Artikel die Flut-Nachflut-Grenze untersucht hat. Er kommt nach der Untersuchung verschiedener Faktoren (globale Sedimentmenge und Erosion, Meeresspiegelschwankungen, fossile Brennstoffe, Vulkanismus und Meteoriteneinschläge) zum Ergebnis:
»Der geologische Befund aus dem Nahen Osten und der ganzen Erde führt zusammen mit den Aussagen der Heiligen Schrift zum Ergebnis, dass die Flut-Nachflut-Grenze ins sehr späte Känozoikum zu setzen ist.« [3, Känozoikum ist die Erdneuzeit, siehe Tabelle in Teil 2.]
Er nimmt also an, dass die Nachwirkungen der Flut erst im Quartär zu ihrem Stillstand gekommen sind. Als Landeplatz der Arche bringt er neben dem Ararat-Vulkan mehrere alternative Gebirgszüge ins Spiel. [4]
Im Rahmen einer kurzen Erdgeschichte ist es durchaus denkbar, dass sich die Oberfläche der Erde während der Sintflut massiv verändert hat. Dabei könnten sich auch ganze Gebirgsketten während des Sintflutjahres aufgefaltet haben. Vielleicht hat sich das Cudi-Gebirge erst kurz vor der Landung der Arche zu seiner Höhe aufgetürmt und benachbarte Gipfel sogar erst hinterher. Dann wären die »Spitzen der Berge« nach 1. Mose 8,5 erst später sichtbar geworden, weil das Wasser abnahm und die Berge sich gleichzeitig vollends hervorhoben.
Während des Paläogens (Alt-Tertiär) lagerten sich noch mächtige Gesteinsschichten ab, im Neogen (Jung-Tertiär) »waren die Krustenbewegungen beträchtlich: Ostanatolien wurde dabei bis 2000 m gehoben.« [5]
Der Beginn der Sintflut lässt sich schwieriger definieren, Holt beispielsweise geht auf diese Frage gar nicht ein. Er stellt lediglich fest: »Nach meinem Wissen sind sich alle Schöpfungsforscher darüber einig, dass die Vorflut-Flutgrenze am Beginn des Phanerozoikum liegt oder sogar davor (also an der Präkambrium-Kambrium-Grenze).« [6]
Doch wenn verschiedene Schichten aus der Kreidezeit auf eine trockene Erdoberfläche schließen lassen, liegt es nahe, den Beginn der Flut auf die markante Kreide-Tertiär-Grenze zu legen oder gar in spätere Epochen des Tertiärs, sodass sich die Sintflut erdgeschichtlich ausschließlich im Tertiär abgespielt hätte.
Tatsächlich passt zum Beispiel die Ausbildung des Oberrheingrabens und des Molassebeckens in Süddeutschland recht gut zu einer Überschwemmung im Oligozän, einem Zeitalter innerhalb des Tertiärs. Zudem zeugt die Auffaltung der Alpen von hoher tektonischer Aktivität in dieser Epoche.
Als weiteren – sehr spekulativen – Gedanken möchte ich einbringen, dass vielleicht schon der Zeitpunkt der Ankündigung der Sintflut (1. Mose 6,7) eine Veränderung in die geologischen Abläufe gebracht haben könnte. Wenn schon viele Schöpfungsforscher übereinstimmend vermuten, dass der Übergang vom Präkambrium zum Erdaltertum mit dem Sündenfall parallel zu setzen ist (wegen des plötzlichen Auftauchens komplexer Fossilien, die vom Einsetzen des Todes zeugen), könnte man doch immerhin die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass weitere einschneidende biblische Ereignisse auch erdgeschichtliche Umwälzungen nach sich zogen. Im Bibeltext eindeutig nachweisbar ist dies allerdings nicht.
Das große Problem der Hypothese, die Sintflut hätte sich ausschließlich im Tertiär abgespielt: Die Besiedlung der vorsintflutlichen Welt und der Bau der Arche müssten an Stellen stattgefunden haben, wo es während des Erdaltertums und des Erdmittelalters – also in der Phase zwischen Kambrium und Kreide – geologisch ruhig war. Die Welt zwischen Adam und Noah müsste also wie eine Insel über den Ablauf der weltweiten geologischen Ereignisse herausgeragt haben, denn die Vorgänge in den erwähnten Erdzeitaltern waren sehr heftig und es gab offensichtlich viele Katastrophen mit globalen Auswirkungen.
Hier hätten wir einen Bruch zu den bisher genannten Anknüpfungspunkten der babylonischen Überlieferung: Die Stätten mit vorsintflutlichen Namen, die in Mesopotamien identifiziert werden konnten, sprechen für geologisch geringe Auswirkungen der angeblichen »Sintflut«. Eine geringmächtige Lehmschicht, wie die von Leonard Woolley entdeckte, würde nicht auf eine weltweite Flut schließen lassen. Manfred Stephan geht daher nicht davon aus, dass geografische Angaben aus der Zeit vor der Flut (die Bibel enthält nur sehr wenige) mit der nachsintflutlichen Welt übereinstimmen. Man müsste daher eher annehmen, dass die Flüsse und Städte geografisch neu zugeordnet bzw. an neuer Stelle wiederaufgebaut wurden. Von der vorsintflutlichen Welt wäre nichts mehr übrig.
Manfred Stephan äußert »tiefgreifende Bedenken, ob es derzeit überhaupt sinnvoll und redlich ist, eine sintflutgeologische Idee nach außen zu vertreten« [7]. Daher sollen die Aussagen über eine Hypothese, dass die Sintflut im Tertiär stattgefunden haben könnte, auch nicht mehr sein als Anregungen zu weiteren Forschungen und Diskussionen in dieser Richtung.
Immerhin ist es schade, dass ein solches alternatives Tertiärmodell bisher noch nirgends schriftlich fixiert wurde, obwohl Stephan schreibt: »Trotz dieser Unsicherheit scheint die Einordnung der Flut im jüngeren Abschnitt der phanerozoischen Gesamt-Schichtfolge besser begründbar zu sein.« [8, Phanerozoikum bezeichnet die gesamte Erdgeschichte nach dem Präkambrium.]
In einer früheren Auflage von »Sintflut und Geologie« wurde ein Tertiär-Sintflutmodell immerhin noch kurz erwähnt: »Neben diesen vier publizierten Modellen wird auch durch archäologische, ur- und frühgeschichtliche Argumente die Möglichkeit der Sintflut im Tertiär diskutiert. Verschiedene archäologische Funde und Belegstücke wurden in einer öffentlichen Ausstellung 1991 in Murr/Württemberg präsentiert und in diesem Sinn interpretiert (ein angekündigter Ausstellungskatalog ist leider nicht erschienen).« [9]
Was geschah vor der Sintflut? Die biblische Beschreibung der Ereignisse im 1. Buch Mose enthält einige geografische Angaben. Es werden Orte wie Euphrat, Tigris, Assur sowie einige weitere genannt, deren Namen heute nicht mehr gebräuchlich sind. Der Name des Arche-Bauorts wird in der Bibel nicht erwähnt.
Im Gegensatz zur Bibel kennen allerdings die mesopotamischen Überlieferungen eine Stadt, die von Noah, der Utnapischtim genannt wird, beherrscht wurde. Das Gilgamesch-Epos erzählt von Utnapischtim, dem »Mann von Schuruppak«. Auch die Sumerische Königsliste kennt Schuruppak als Sitz des Königtums unmittelbar vor der Flut.
Bei Ausgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts wurde während einer Grabungskampagne in den Jahren 1902 und 1903 in Fara in der Nähe von Babylon »ein ›Tonnagel‹ gefunden, der die Inschrift eines gewissen ›Haladda, Stadtfürst von Schuruppak‹ trug. Damit war Fara als Schuruppak, die Heimatstadt des ›babylonischen Noah‹, Utnapischtim, identifiziert.« [10] Die Stadt besaß im 2. und 3. Jahrtausend v.Chr. eine blühende Kultur, die ältesten Spuren der Besiedlung gehen auf die Zeit zwischen 3200 und 2900 zurück (»Gamdat-Nasr-Zeit«).
David Rohl hält eine Überflutungsschicht in dieser Stadt für eine Hinterlassenschaft der »Sintflut«. Er hält für erwiesen: »Wenn irgendwelche archäologischen Befunde für den Nachweis der Sintflutgeschichte herangezogen werden können, dann müssen es eher die frühdynastischen Überflutungsablagerungen von Schuruppak und Kisch sein als Woolleys viel frühere Flutsedimente in Ur aus der Ubaid-Zeit.« [11]
Rohl geht von einer regionalen Überschwemmung in Mesopotamien aus und diskutiert weder die erdgeschichtlichen Konsequenzen, die sich aus den Bibeltexten ergeben, noch die geologischen Mechanismen, die zu einer Landung der Arche auf dem Berg Cudi (den er ja ebenfalls für den wahren Arche-Berg hält) geführt haben könnten.
Seine geografischen Analysen passen allerdings, wie in Anhang 1 des Buches »Das Rätsel der Arche Noah« weiter ausgeführt wird, ganz gut zum Land zwischen Euphrat und Tigris, das in der biblischen Urgeschichte als Schauplatz der vorsintflutlichen Ereignisse präsentiert wird.
Aufgrund einer weiteren außerbiblischen Quelle, den Aufzeichnungen des Geschichtsschreibers Josephus, könnte man tatsächlich annehmen, dass alte vorsintflutliche Orte aufgrund von Markierungen nach der Flut wiedergefunden und neu besiedelt werden konnten. Dazu würde eine globale Flut mit umwälzenden geologischen Auswirkungen nicht passen. Josephus schreibt:
»Sie [die Söhne Seths] erfanden die Sternkunde, und damit ihre Erfindungen nicht verloren gingen und vernichtet würden, ehe sie zu allgemeiner Kenntnis gelangten (denn Adam hatte den Untergang aller Dinge teils durch Feuer, teils durch heftige Überschwemmungen vorhergesagt), so errichteten sie zwei Säulen, die eine aus Ziegeln, die andere aus Stein, und schrieben das von ihnen Erfundene auf beiden ein, damit, wenn die Säule aus Ziegeln durch Wasserflut vernichtet werden sollte, die steinerne wenigstens noch erhalten bleibe und den Menschen ihre astronomischen Inschriften und zugleich auch die Tatsache kundtun könne, dass außer ihr auch eine Ziegelsäule errichtet worden sei. Die steinerne Säule steht übrigens noch heute in Syrien.« [12]
Im Gegensatz dazu deuten aber die zahlreichen Sintflutüberlieferungen aus Kulturen rund um den Globus wiederum auf eine weltweite Katastrophe hin:
»Bereits 1869 hat Lüken in großer Zahl außerbiblische Schilderungen von Völkern aus verschiedensten Regionen der Erde zusammengetragen, die auffällige Gemeinsamkeiten mit dem biblischen Sintflutbericht aufweisen. 1925 veröffentlichte Riem 268 Sintflutberichte und 21 Regenbogensagen aus aller Welt und wertete diese aus. Er kam dabei zum Ergebnis, dass einige Überlieferungen so viele Parallelen zum biblischen Bericht aufweisen, dass ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen muss.« [13]
Insofern ist in meinen Augen das wahrscheinlichste Szenario, dass es eine weltweite Flut gab, die vorsintflutliche Welt sich aber nicht in Mesopotamien befunden hat, sondern irgendwo unter den Gesteinsschichten des Tertiärs verborgen liegt oder während dieses Erdzeitalters abgetragen wurde. Tertiäre Steinwerkzeuge könnten vielleicht Überreste dieser vorsintflutlichen Kulturen sein. Die Ortsnamen, die vor der Sintflut bekannt waren, müssten somit nach dem Verlassen der Arche neu vergeben worden sein, auch wenn dies gewisse Auslegungsprobleme mit sich bringt (vgl. den schon erwähnten Anhang 1 im Buch am Beispiel von Assur).
Wir sehen also, dass es noch einige Problemfelder gibt, für die eine durchweg einleuchtende Lösung nicht in Sicht ist. Auch der als Sintflutzeitraum vorgeschlagene Ablauf des Tertiärs ist nicht wissenschaftlich mit dem biblischen Sintflutbericht synchronisiert. Vielleicht müsste man im Rahmen der Schöpfungsforschung an die Phase der Geologiegeschichte anknüpfen, die dem Siegeszug des Aktualismus unmittelbar vorausging. Der Aktualismus ist das geologische Prinzip der Gleichförmigkeit der Prozesse: Es besagt, dass in der Vergangenheit Prozesse gewirkt haben, wie sie ebenso heute zu beobachten sind. Inzwischen setzt sich aber wieder immer mehr die Erkenntnis durch, dass es in der Vergangenheit auch große Katastrophen gab, die mit heutigen Vorgängen nur schwer zu vergleichen sind.
Montgomery erinnert an den deutschen Mineralogen Abraham Gottlob Werner (1749–1817), der vor 200 Jahren großen Einfluss hatte: »Werners beherrschender Einfluss auf das geologische Denken war, dass nun nicht länger alle Sedimentgesteine für ein Werk der Flut gehalten wurden. Nun waren es nur noch die tertiären Gesteine und die Formung der Landschaft, die von der Sintflut zeugten.« [14]
Damals wurde der Begriff »Diluvium« geprägt, der das erdgeschichtliche Zeitalter definierte, in dem sich die Sintflut ereignet haben soll. Er wurde inzwischen durch das unverbindlichere »Pleistozän« ersetzt.
Bisher konnten weder am Ararat noch am Berg Cudi eindeutige Überreste der Arche gefunden werden. Die Forschungsgeschichte der Arche Noah ist geprägt von Irrtümern, Fälschungen und vergeblichen Bemühungen. Die Analyse der historischen Quellen und der Baugeschichte auf dem Gipfel des Cudi Dagh zeigt allerdings, dass es gute Gründe gibt, dort den Landeplatz der Arche Noah zu vermuten. Ich habe versucht darzulegen, dass die Bibel in ihren ersten Kapiteln von tatsächlichen Ereignissen der frühen Menschheitsgeschichte berichtet. Viele außerbiblische Quellen deuten darauf hin, dass noch bis weit ins erste nachchristliche Jahrtausend hinein eindeutig identifizierbare Überreste der Arche auf dem Gipfel des Cudi-Berges existiert haben. Nach dem überlieferten Brand im Jahr 776, weiteren Jahrhunderten von Pilgerfahrten dorthin und den Einflüssen von Regen, Wind und Schnee sind vermutlich keine oberflächlich sichtbaren Spuren des biblischen Schiffes mehr vorhanden.
Und doch gab es auch in jüngster Vergangenheit Funde von Holzstückchen, die selbst einen namhaften Geologen verwunderten, sowie von Metallnägeln in beachtlicher Größe, die von Einheimischen immer wieder entdeckt worden sein sollen. Außerdem gibt es noch immer eine reichhaltige Lokaltradition in der Provinz Sirnak, von der ich mich selber überzeugen konnte. Auf den Handtüchern des Hotels, auf der Plastiktüte vom Supermarkt, auf Bussen, Plakatwänden und Schildern: Noah und die Arche sind rund um den Berg Cudi allgegenwärtig.
Das Rätsel der Arche Noah ist nicht gelöst. Aber ich bin überzeugt: Wenn man eines Tages auf dem Gipfel des Cudi-Berges an der richtigen Stelle mit dem Spaten in die Erde sticht und archäologische Ausgrabungen beginnen wird, sind vielversprechende Funde möglich.
Am Ende meines Vortrages während des Noah-Symposiums in Sirnak habe ich es so formuliert:
»Ich glaube nicht, dass man eine intakte Arche finden wird, wie man sich dies am Berg Ararat erhofft. Wenn die Arche auf dem Berg Cudi gelandet ist – und ich bin mir sicher, dass es so war – werden sich nur sehr wenige Überreste bis zum heutigen Tag erhalten haben. […] Aber es könnte möglich sein, die Fundamente und Reste von Gebäuden zu finden, die auf dem Gipfel gebaut worden sind, und von denen wir nur noch spärliche Ruinen sehen. Das Kloster, das im 8. Jahrhundert abgebrannt ist, oder die Festung, die Sanherib etwa 1500 Jahre zuvor erobert hat, wären aussichtsreiche Ziele für archäologische Ausgrabungen. Und falls man verfaulte Überreste einer hölzernen Struktur finden würde, könnte dies eine plausible Erklärung für die Frage liefern: Waren die sinkenden Wasser der Sintflut in den Tagen Noahs tatsächlich in der Lage, ein riesiges Schiff sanft auf einem Gipfel abzusetzen, den die Muslime als ›Al Cudi‹ kennen und den die Christen schließlich als einen jener Berge erkennen würden, die in der Bibel beschrieben sind als die ›Berge von Ararat‹?«
Timo Roller
[1] Manfred Stephan: »Sintflut und Geologie« (2003), S. 117.
[2] Friedrich Bender: »Holzreste vom ›Landeplatz der Arche‹ rund 6500 Jahre alt«, Magazin »Umschau«, 1972.
[3] Roy D. Holt: »Evidence for a Late Cainozoic Flood/post-Flood Boundary«, S. 161.
[4] Roy D. Holt: »Evidence for a Late Cainozoic Flood/post-Flood Boundary«, S. 148.
[5] http://www.katpatuka.org/de/turkey.shtml
[6] Roy D. Holt: »Evidence for a Late Cainozoic Flood/post-Flood Boundary«, S. 129.
[7] Manfred Stephan: »Sintflut und Geologie« (2010), S. 259.
[8] Manfred Stephan: »Sintflut und Geologie« (2010), S. 202.
[9] Manfred Stephan: »Sintflut und Geologie« (2003), S. 90.
[10] Gernot Wilhelm (Hrsg.): »Zwischen Tigris und Nil«, S. 30.
[11] David Rohl: »Legend«, S. 166.
[12] Flavius Josephus: »Jüdische Altertümer«, 1. Buch, 2. Kapitel, Abschnitt 3.
[13] Reinhard Junker: »Leben – woher?«, S. 167, mit weiterführenden Quellenangaben.
[14] David R. Montgomery: »The Rocks Don’t Lie«, S. 102.