Im Südosten der Türkei tobt seit einigen Monaten ein Krieg des Militärs gegen kurdische Freiheitskämpfer, zu leiden hat unter den Kämpfen vor allem die Zivilbevölkerung. Unmittelbar nachdem Präsident Erdogan angekündigt hat, Unterstützern der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK die türkische Staatsbürgerschaft zu entziehen, begann heute offensichtlich die massive Bombardierung der Stadt Nusaybin an der Grenze zu Syrien.
In der Antike hieß die Stadt Nisibis, ihre Geschichte reicht 3000 Jahre zurück. Im 4. Jahrhundert war Nisibis Bischofsitz, Bischof Jakob, der später heiliggesprochen wurde, ließ eine Kirche errichten, die nach ihm benannt ist und bis heute existiert. Im Kellergewölbe der alten Ruine befindet sich sein Grab. Jakob von Nisibis gründete eine Theologenschule, die im alten Mesopotamien sehr bedeutend war. Die Kirche wurde ab dem Jahr 2000 archäologisch erforscht und auch wenn die alten Portale schon lange zugemauert sind, kann man an vielen Stellen im Inneren noch die kunstvolle Gestaltung der Bögen und Gesimse erkennen. Viele außerhalb der heutigen Ruine aufgefundene Steinfragmente sind im Inneren der Kirche ausgestellt.
Im Jahr 2013 besuchte ich Nusaybin auf meiner Suche nach historischen Spuren der biblischen Arche-Noah-Geschichte. Die Legende erzählt, dass schon der Heilige Jakob von Nisibis die Arche Noah gesucht haben soll. Ararat-Erstbesteiger Friedrich Parrot schrieb darüber:
»Dieser Mönch habe, um den damals entstandenen Streitigkeiten über die Glaubwürdigkeit der heiligen Geschichtsbücher, namentlich in Betreff ihrer Erzählung von Noahs Begebenheit ein Ende zu machen, den Entschluss gefasst, sich persönlich auf dem Gipfel des Ararat von der Gegenwart der Arche zu überzeugen. Am Abhange des Berges aber sei er mehrere Male vor Übermüdung in Schlaf versunken und habe beim Erwachen gefunden, dass er während des Schlummers unbewusst wieder ebenso weit herabgekommen sei, als er mit vieler Mühe hinangestiegen war. Als Gott seine unermüdlichen, doch fruchtlosen Anstrengungen mitleidig angesehen, habe er ihm während seines Schlafes einen Engel gesandt mit der Botschaft, seine Bemühungen wären vergeblich, denn der Gipfel sei unerreichbar, jedoch zur Belohnung seines eifrigen Strebens und zur Befriedigung der Wissbegierde der Menschen schicke er ihm ein Stück von dem auf dem Gipfel befindlichen Schiffe des Noah, eben dasselbe, welches in der Kathedrale von Etschmiadsin als eine vorzügliche heilige Reliquie aufbewahrt wird.«
Dieses Holz, eingefasst in einen vergoldeten Reliquienschrein, ist heute noch zu besichtigen. Eine genauere Untersuchung hat aber meines Wissens niemals stattgefunden. Das wertvolle Stück wird in der Kathedrale von Etschmiadsin aufbewahrt, 20 km westlich von der armenischen Hauptstadt Eriwan und etwa 50 km vom Berg Ararat entfernt.
Dass Bischof Jakob auf dem 400 km von Nisibis entfernten Berg Ararat gewesen ist, erscheint aber nach meinen Recherchen sehr unwahrscheinlich: Er war auf einem anderen Arche-Berg, dem in der muslimischen und frühchristlichen Tradition bekannten Landeplatz Cudi Dagh. In der syrisch-orthodoxen Kirche gibt es die Überlieferung (der Website www.moraugin.de entnommen, die leider nicht mehr aktiviert ist):
»Mor Augin ging daraufhin mit Mor Jakob von Nisibis zum Berg ›Gardu‹, wo die Arche Noah ans Land gegangen war. Dort errichteten sie ein Kloster und weihten es ein. Ein Engel zeigte ihnen ein Brett von der Arche Noah. Aus einem Teil dieses Bretts machte sich Mor Augin ein Kreuz und stellte es sich in sein Zimmer.«
Nisibis liegt tatsächlich nur 120 km vom Berg Cudi entfernt, auf diesem sind bis heute die Ruinen eines alten Klosters zu sehen. In der Nähe von Nisibis gibt es ein weiteres uraltes Kloster, dessen Gebälk aus Holz von der Arche bestehen soll. Eine Probe davon hat der Arche-Forscher Charles Willis 2012 in die USA mitgenommen. Leider ist Willis kurz nach dieser Reise verstorben und es ist unbekannt, was aus dem Stück »Arche-Holz« geworden ist.
Weitere einflussreiche Christen aus Nisibis waren Ephräm der Syrer (4. Jahrhundert) und Elias von Nisibis (975–1046). Das Christentum behielt seine Bedeutung in diesem Landstrich durch alle Jahrhunderte hindurch, auch unter der Herrschaft islamischer Reiche.
Vor wenigen Tagen wurde berichtet, dass der letzte Christ Nusaybin verlassen hat. Der Küster Daniel Cepe, der mit seiner Familie die altehrwürdige Jakobskirche bewacht hat, ist vor den Kämpfen zwischen kurdischen Rebellen und dem Militär geflüchtet. Damit endet die Geschichte des Christentums in Nisibis nach über 1700 Jahren! Es bleibt zu hoffen, dass Kirche und Grab des archesuchenden Bischofs nicht weiter zerstört werden.