Jericho – Als die Mauern fielen

Die virtuelle Reise ins Heilige Land beginnt dort, wo auch die Geschichte des Volkes Israel im von Gott verheißenen Land begonnen hat: an den Mauern von Jericho.

Jericho gilt als eine der ältesten Städte der Welt: Archäologische Ausgrabungen haben Besiedlungsspuren nachgewiesen, die auf mehrere Jahrtausende vor Christi Geburt datiert werden. Nomaden waren damals zu einer sesshaften Lebensweise übergegangen und hatten so die Voraussetzung für das Entstehen einer frühen Hochkultur geschaffen. Die Archäologin Kathleen Kenyon fand bei ihren Grabungen zwischen 1952 und 1958 ein Heiligtum mittelsteinzeitlicher Nomaden.

Spektakulär war der Fund eines Teils der Stadtmauer und des 9 Meter hohen Rundturms einer befestigten Stadt aus der Jungsteinzeit. Insgesamt entdeckte Kenyon 23 Siedlungsschichten auf dem Tell Jericho. Bedeutend im Zusammenhang mit der biblischen Überlieferung ist die Lokalisierung einer Stadtmauer aus dem 2. Jahrtausend vor Christus, die irgendwann zwischen 1580 und 1400 v. Chr. zerstört wurde. Das würde hervorragend zu dem biblischen Bericht von der Einnahme Jerichos durch die Israeliten nach der Wüstenwanderung und der Durchquerung des Jordans passen: »Die Priester bliesen die Hörner. Als die Israeliten das hörten, schrien sie, so laut sie konnten. Da stürzten die Mauern Jerichos zusammen, und die Israeliten drangen geradewegs in die Stadt ein und eroberten sie« (Josua 6,20).

Das Problem ist nur: Die meisten Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass die Einnahme Israels im 13. Jahrhundert v. Chr. stattgefunden hat und somit in einer Zeit, in der es keine Spuren einer gewaltsamen Eroberung in Jericho gibt. Daher geht zum Beispiel Israel Finkelstein, Direktor des Archäologischen Instituts der Universität von Tel Aviv und Buchautor, davon aus, dass der biblische Bericht ohne jede historische Grundlage ist.

Allerdings fanden andere Archäologen Hinweise auf Fehler in den Chronologien der alten vorderasiatischen Völker. Im Kapitel Ägypten wurde diese Problematik schon etwas genauer beleuchtet (siehe unter Avaris: Probleme mit der Chronologie). Zusammenfassend sei hier nur kurz erwähnt: Jericho wurde wahrscheinlich nicht am Ende der Späten Bronzezeit
eingenommen, sondern schon gegen Ende der Mittleren Bronzezeit. Daraus würde sich eine Eroberung Jerichos bereits im 15. Jahrhundert v. Chr. ergeben, was den biblischen Aussagen viel besser entspricht.


Jericho: 31.8710N, 35.4441E – Sichthöhe: etwa 650 Meter. Auf dem Ausgrabungsgelände kann man zwei stratigrafische, also die Schichtenfolge untersuchende Grabungen gut erkennen: die von 1930 bis 1936 durch die Briten (1) durchgeführten sowie die 1952 bis 1958 unter Kathleen Kenyon (2). Der jungsteinzeitliche Turm (3) ist einer der eindrucksvollsten Mauerreste auf dem Tell Jericho.


Reste eines Turms aus der Jungsteinzeit.

Koordinaten:
Tell Jericho: 31.8710N, 35.4441E
Hischam-Palast: 31.8818N, 35.4596E
Amphitheater: 31.8647N, 35.4399E
Berg der Versuchung: 31.8748N, 35.4310E
Hasmonäerpalast: 31.8450N, 35.4262E
St.-Georg-Kloster (Wadi Qilt): 31.8440N, 35.4116E

Etwa 2 Kilometer nordöstlich des Tell Jericho erkennt man den Hischam-Palast, der 724 n. Chr. von Hischam, dem letzten Omaijadenkalifen, errichtet wurde. Der Bau blieb jedoch unvollendet und wurde schon 746 bei einem Erdbeben zerstört. 1937 entdeckten englische Archäologen den von Sand bedeckten Palast mit einer Fläche von 160 mal 130 Metern und legten ihn frei. Schön erkennt man aus der Luft den hellgrauen großen Innenhof und 80 Meter nördlich die ungefähr genauso große Badehalle.

750 Meter südwestlich des Tells ist das Amphitheater von Jericho zu
sehen.

Auf dem Berg der Versuchung hat nach christlicher Überlieferung der Teufel Jesus herausgefordert: »Wenn du der Sohn Gottes bist, dann verwandle diese Steine in Brot« (Matthäus 4,3). Schon 340 n. Chr. entstand auf dem Gipfel eine Kapelle, daneben steht die Hasmonäerburg Dok, ein Platz mit herrlicher Aussicht. 1895 erbaute die griechisch-orthodoxe Kirche auf halber Höhe das Kloster Sarandarion.

3,3 Kilometer in südlicher Richtung existiert ein weiteres Bauwerk der Hasmonäer: Es war vermutlich König Alexander Jannaios (103 bis 76 v. Chr.), der hier einen weitläufigen Palast anlegte. Dieser wurde später von König Herodes dem Großen ausgebaut. Nach einem Bericht des jüdischen Historikers Flavius Josephus ließ Herodes seinen Schwager Aristobulos in einem Schwimmbecken ertränken, nachdem er ihn ein Jahr zuvor zum Hohenpriester gemacht hatte. Aber auch er selbst starb in den Mauern dieses Palastes.

1300 Meter westlich des Hasmonäerpalastes liegt das um 480 n. Chr. gegründete St.-Georg-Kloster, errichtet an den steilen Felswänden des Wadi Qilt, einem canyonartigen Flusstal, das durch die Berge Judäas führt. Seine Blütezeit erlebte das Kloster im 6. Jahrhundert, wurde dann aber 614 von den Persern zerstört. Erst zwischen 1878 und 1901 entstand der heutige Klosterkomplex, der im momentanen Datenbestand von Google Earth jedoch nicht zu erkennen ist, da die Talseite des Wadi im Schatten liegt.

Jericho liegt 250 Meter unter dem Meeresspiegel und ist damit die tiefstgelegene Stadt der Welt.