Die Sintflut ist ein Thema, das viele fasziniert hat: Künstler, die die Vertilgung der Menschen und Tiere durch Wassermassen in drastischen Bildern dargestellt haben; Prediger, denen die Geschichte des Untergang und der Errettung als Motiv ihres Redens und Schreibens diente; Wissenschaftler, die über die Jahrhunderte versucht haben, Geologie, Erdgeschichte und biblischen Bericht miteinander in Einklang zu bringen. Heute fasziniert die Sintflut eher als ein geheimnisvoller Mythos, der in allen Kulturen die kollektive Angst der Menschheit vor der Auslöschung zum Ausdruck bringt. Und Noah und sein Schiff sind die verniedlichte Vorlage für zahllose Kinderspielzeuge und Bilderbücher.
Diese Veröffentlichung soll nicht in erster Linie ein wissenschaftliches Werk sein, denn kaum ein Wissenschaftler wird sich heute noch ernsthaft mit der Suche nach der Arche Noah beschäftigen wollen. Trotzdem präsentiere ich hier Daten und Fakten, die bemerkenswert sind. Zur Vollständigkeit fehlt aber mindestens ein entscheidender Schritt: die Untersuchung vor Ort. Wie ich zeigen werde, ist eine Expedition zum Ort des Interesses, dem Berg Cudi, derzeit [Stand 2010!] nicht möglich. Daher kann die Darstellung an dieser Stelle nur eine vorläufige sein.
Ich möchte aber auch nicht nur die trockenen Informationen liefern, sondern einen Blick hinter die Kulissen bieten: einen Blick darauf, wie ich selbst zu dieser Story gekommen bin und welche spannende Detektivarbeit hinter mir liegt – und vielleicht auch noch vor mir!
Da die Suche nach der biblischen Arche unweigerlich auch Fragen des Glaubens und der Weltanschauung betrifft, ist eine absolute Objektivität natürlich so gut wie ausgeschlossen. Weil ich daher aus meiner eigenen, subjektiven Perspektive schreibe, möchte ich zu Beginn ein paar Worte zu mir selbst verlieren und darüber, wie ich zu diesem Thema gekommen bin. Oder ist das Thema »Arche Noah« eher zu mir gekommen?
Ich, Timo Roller, bin Jahrgang 1972, verheiratet und habe zwei Kinder. Im Hänssler-Verlag sind meine beiden Bücher »Bible Earth« (2007) und »Einzigartiges Israel« (2008) erschienen. Ich bin selbstständig und beschäftige mich mit den sogenannten »Neuen Medien«. Ich bin Geschäftsführer der »MORIJA gGmbH«.
Beim Schreiben von »Bible Earth – ein virtueller Reiseführer«, der mit Hilfe von Koordinaten für »Google Earth« zu Orten der Bibel führt – habe ich dem Berg Ararat einen Abschnitt gewidmet und unter den möglichen Alternativen auch den Berg Cudi erwähnt. Dieser war allerdings zum damaligen Zeitpunkt noch nicht hochauflösend dargestellt, ich konnte kaum etwas über ihn in Erfahrung bringen und so fiel meine Beschreibung mit drei Zeilen sehr kurz aus:
»Cudi Dagi: Der Koran nennt als Landeplatz der Arche den Berg Cudi. David Rohl hat diese Möglichkeit ins Visier genommen und bevorzugt sie aufgrund seiner Untersuchung alter Handschriften.«
Nach Erscheinen des Buches schaute ich am 12. November 2007 wieder einmal mit Google Earth an verschiedenen biblischen Orten vorbei und entdeckte, dass vom Berg Cudi plötzlich sehr hochaufgelöstes Material dargestellt wurde. Und von da an machte ich mich auf die Sache nach der Arche Noah …
Der Einführungstext aus dem Film »Die Arche Noah und das Rätsel der Sintflut« von Jens-Peter Behrend zeigt, wie sehr das Thema auch die Menschen in unserer »aufgeklärten« Gesellschaft noch fasziniert:
»Die Sintflut. Die erste Katastrophe in der Geschichte der Menschheit. Ein Schiff – so schreibt die Bibel – rettet alles Leben vor dem Untergang: die Arche Noah. Wie wahr ist diese Überlieferung? Hat man Beweise von dem Ereignis gefunden? Nach der Bibel strafte Gott die Menschen, weil Bosheit unter ihnen herrschte. Was sagen andere Schriften? Was moderne Technologie? In welcher Region unserer Erde hat sich die Naturkatastrophe zugetragen? Meeresuntersuchungen sollen Aufschluss geben. Jeder Spur gehen die Experten nach. Rätsel wie die Sintflut beschäftigen seit Jahrhunderten Naturwissenschaftler, von den Überlieferungen angelockte Abenteurer und Archäologen. Ihr Ziel: sich ein Bild zu machen von der dramatischen Katastophe aus mythischer Zeit.«
Der Film wurde 2006 im Auftrag des ZDF produziert und er untersucht den Zusammenhang der alten Überlieferungen mit den Abenteuern von bekannten Arche-Suchern wie Friedrich Parrot, Fernand Navarra oder einem Mönch namens Jakob sowie den geologischen Vorgängen am Schwarzen Meer, die in jüngster Vergangenheit von manchen Wissenschaftlern als historischer Kern der Sintflut angesehen werden.
Auch in der Zeitschrift »National Geographic Deutschland« wurde die Sintflut jüngst thematisiert: In der Ausgabe Mai 2008 heißt es: »Als das Wasser kam – Weshalb Forscher meinen, dass es die große Flut tatsächlich gab. […] Die Flut hinterlässt eine zerstörte Landschaft, hier die Küste von Aceh nach dem Tsunami zu Weihnachten 2004. Einigen Theorien zufolge könnte eine solche Welle, ausgelöst durch einen Meteoriteneinschlag, einst die Sintflut ausgelöst haben.«
Die Bibel wird hier nicht wörtlich genommen. Als Fazit schreibt der Autor des Artikels, Christian Schüle: »Schriftgelehrte schaffen die Legende vom Volk Israel, das schlecht gehandelt hat. Die Babylonische Gefangenschaft wird als Strafe für die eigene Schuld betrachtet, für das Vergehen gegen die Gesetze. Gott war nichts anderes übrig geblieben, als den Untergang herbeizuführen: die Vernichtung allen Lebens in der Sintflut. Die Geschichte Israels wird zur Dekadenzgeschichte, zur Geschichte des Abfalls der Kinder Gottes von ihrem Vater. Dieser moralisch-theologische Faden der Schuld und Sühne wird in die mitgebrachten Erzählungen von einer großen Flut eingewoben.«
Einer der bekanntesten Forscher am Ararat war Fernand Navarra, der am 6. Juli 1955 in einer Gletscherspalte in 4300 Metern Höhe einen Balken der Arche Noah gefunden haben will. Inzwischen hat sich dieser Bericht – wie viele andere auch – als wenig stichhaltig erwiesen. Und so kam die Studiengemeinschaft Wort und Wissen, die sich als eine der wenigen deutschsprachigen Organisationen mit der wörtlichen Auslegung der Heiligen Schrift – auch in Bezug auf die ersten Kapitel der Genesis – beschäftigt, 1993 zu dem ernüchternden Ergebnis: »Wir schließen einen Fund der Arche auf dem Ararat nicht aus. Solange die Faktenlage aber noch derart diffus ist, kann keine Aussage außer dem Satz »Wir wissen es nicht« getroffen werden.«
Auch wenn die konventionelle Wissenschaft die Vorstellung einer weltweiten Flut im Laufe der Menschheitsgeschichte ablehnt, kann die Geschichte von Noah und seiner Arche eigentlich nur in Betracht gezogen werden, wenn man von einer wörtlichen Auslegung des biblischen Berichtes ausgeht. Denn nur dann könnte eine Flut, ein Schiff überhaupt auf einen hohen Berg hinauf gehoben haben. Unter Voraussetzung einer lokalen Überschwemmung wäre der Fund von Spuren eines Schiffwracks auf einem Berggipfel äußerst schwierig zu erklären.
Doch um welchen Berg handelt es sich in der Überlieferung überhaupt? Im Zusammenhang mit der Arche Noah ziehen die meisten Bibelleser heute nur noch den Berg Ararat – auch bekannt als »Großer Ararat« oder unter seiner türkischen Bezeichnung »Agri Dagh« – in Betracht. Der verloschene Vulkan türmt sich im Grenzgebiet zwischen der Türkei, Armenien und dem Iran 5137 Meter empor.
Immmer wieder wurden aber auch andere Berge als Kandidaten des Noahbergs diskutiert: zu den bekanntesten gehören die geologische Formation Durupinar ganz in der Nähe des Großen Ararat – und der Berg Cudi am Südosten der Türkei, um den es in dieser Veröffentlichung in der Hauptsache gehen wird.
Durupinar ist benannt nach dem türkischen Luftwaffenkapitän Ilhan Durupinar und die Struktur erinnert tatsächlich an einen Schiffsrumpf. Der Pilot entdeckte die Stelle, als er 1959 für die NATO die Gegend aus der Luft kartografierte. In Google Earth kann man Durupinar bereits seit längerer Zeit in hoher Auflösung erkennen. Der Abenteurer im Indiana-Jones-Look Ron Wyatt hat in diese Fundstelle viel Zeit und Geld investiert und ist nach wie vor von der Authentizität überzeugt. John Morris aber schreibt:
»Die Struktur, die zwischen zwei Hügeln am Rand einer größeren Erhebung ausgebildet ist, entstand, als Erde und Schlamm von den benachbarten Hängen abrutschten; es entstand ein stromlinienförmiges Gebilde. Es sei abschließend gesagt, daß es eine rundum zufriedenstellende geologische Erklärung für diese Struktur gibt und keinerlei Hinweise von archäologischer Bedeutung.« (W+W-Diskussionsbeitrag 2/93)
Als weitere Alternative gibt es noch einen Berg, auf dem die Arche vielleicht einmal gelandet sein könnte: den Berg Cudi. Ist der Ararat also der falsche Berg und daher eine Suche dort von vornherein zum Scheitern verurteilt? Ich glaube das und möchte nun zeigen, warum.
Wie in alten Veröffentlichungen (erreichbar über Google Books) zu lesen ist, gab es z.B. 1744 in dem Werk »Übersetzung der Allgemeinen Welthistorie« von Siegmund Jacob Baumgarten noch die ausführliche Diskussion darüber, wo der Landeplatz der Arche zu suchen sei. Ein ganzes Kapitel ist dem Thema gewidmet: »Eine Untersuchung von der Lage des Gebirges Ararat und den mancherley Meinungen darüber«.
1821 hieß es in der »Urgeschichte der Menschheit in ihrem vollen Umfange« von Friedrich Wilhelm Pustkuchen, dass manche Ausleger den Ararat nicht in der armenischen Provinz Erivan suchen, sondern in den gordiäischen Bergen.
In einem Kommentar zu »Die Reisen des Venezianers Marco Polo« von August Bürck aus dem Jahr 1855 spricht er von einem »Syrischen« und einem »Armenischen« Ararat.
In heutiger Literatur findet man nur noch wenige Beispiele, die sich mit dem Ort der Landung der Arche ausführlicher auseinandersetzen:
»Schließlich lokalisieren Mohammedaner die Archenlandung viel lieber auf dem ein gutes Stück südlich vom Agri Dag gelegenen Berg Dschudi, der einen weiten Ausblick auf die Ebene des Zweistromlandes gewährt.« (Werner Keller: Und die Bibel hat doch recht, Neuausgabe, Auflage von 1991, S. 58)
»Berossos gibt eine andere babylonische Tradition wieder, die Berge der Kordyener (Kurden); so auch Peschitta mit Targum Onkelos: ›auf den Bergen von Qardu‹, Targum Pseudo-Jonathan: ›auf den Bergen von Qardun‹. Diese Berge entsprechen wahrscheinlich dem Jebel Judi, südlich des Van-Sees, den die Einwohner dieses Gebietes als Landeplatz der Arche ansahen; er wird auch im Koran als solcher genannt.« (Claus Westermann: Genesis, 3. Auflage 1983, S. 595)
»Dabei hilft seine [Berossos’] Angabe über das Gebirge der Kordyäer zu einer gewissen Präzisierung: Dieser Berg hat sicher mit dem Gebiet der Corduene, Gordyene oder ähnlich zu tun, das im südlichen Teil des damaligen Armenien (südlich des Van-Sees, in der Südost- Türkei) zu suchen ist. Dem entsprechen dann auch etliche Übersetzungen oder Paraphrasen des AT, wenn sie Ararat mit QRDW wiedergeben. In diesem Bereich sucht dann auch die muslimische Tradition seit oder auch nach Mohammed das Ende des Flutgeschehens (Dschebel al-Dschudi). Noch 1814 wurde ein Reisender von Einheimischen dieser Region darauf verwiesen, dass in der Nähe Noachs Arche zu finden sei.« (Peter Höffken: Zuversicht und Hoffnung in Verbindung mit babylonischer Fluttradition, in Die Sintflut: Zwischen Keilschrift und Kinderbuch, Hrsg: Norbert Clemens Baumgart, Gerhard Ringshausen, 2005)
Warum ist diese Diskussion heutzutage fast verstummt? Meiner Ansicht nach aus zwei Gründen:Ich möchte nun der Frage nachgehen, ob der berühmte Berg Ararat tatsächlich mit dem in der Bibel erwähnten »Gebirge Ararat« identisch ist. Ob die Arche Noah auf dem Berg Cudi oder auf dem Ararat gelandet ist, entscheidet allerdings nicht darüber, ob die Bibel recht hat oder nicht. Es geht vielmehr darum, welcher Ort mit der biblischen Bezeichnung »Gebirge Ararat« – 1. Mose 8,4 – gemeint ist. Dieser Bibelvers aus der Genesis lautet vollständig:
»Am siebzehnten Tag des siebenten Monats ließ sich die Arche nieder auf das Gebirge Ararat.«
Wir können davon ausgehen, dass der Ausdruck »Ararat«, der in der Bibel noch an drei weiteren Stellen vorkommt (2. Könige 19,37; Jesaja 37,38 und Jeremia 51,27), gleichzusetzen ist mit dem antiken Königreich Urartu, das an den Norden Assyriens grenzte.
In seiner größten Ausdehnung umfasste es sowohl den heute als Großen Ararat bekannten Vulkankegel in der Osttürkei nahe der armenischen Grenze, als auch den rund 300 km südwestlich gelegenen Berg Cudi an der türkischen Grenze zu Syrien und zum Irak.
In der Entscheidung zwischen Ararat und Cudi bringt uns der Historiker Flavius Josephus ein Stück weiter. Die biblische Überlieferung gibt er so wieder:
»Als dann die Arche in Armenien auf dem Gipfel eines Berges stehen geblieben war, öffnete Noah dieselbe und schöpfte, da er einiges Land sah, daraus neue Hoffnung.« (Jüdische Altertümer, 1. Buch, 3. Kapitel, Abschnitt 5)
Nun hat aber auch Armenien in römischer Zeit – als Josephus diese Zeilen niederschrieb – beide Berge eingeschlossen. Doch der Geschichtsschreiber führt weiter aus:
»Es heißt, dass noch jetzt in Armenien auf dem Kordyäergebirge ein Teil jenes Fahrzeuges vorhanden sei, und dass manche Harz davon entnehmen, um sich desselben als Zaubermittels gegen drohende Übel zu bedienen.« (Abschnitt 6)
Dabei zitiert er den babylonischen Priester Berosus, der im dritten vorchristlichen Jahrhundert lebte und sicherlich bestens mit dem babylonischen Gilgamesch-Epos vertraut war, das eine Sintfluterzählung enthält, die der biblischen verblüffend ähnelt.
Die Angabe »Kordyäergebirge« grenzt die Lage des Noahberges schon deutlich ein: der antike Staat Gordyene lag zwischen Van-See und Tigris, in der heutigen Provinz Sirnak. Und tatsächlich gibt es dort eine tief in der Geschichte und in den verschiedenen Religionen verwurzelte Tradition, die den Berg Cudi als Landeplatz der Arche Noah ansieht. Die Provinzhauptstadt Sirnak hat sogar die zwischen Berggipfeln gestrandete Arche im Wappen.
Eine apokryphe Schrift aus der frühen syrischen Kirche, genannt »die Schatzhöhle«, nennt als Landeplatz der Arche den »Berg Kardo« und der Koran erwähnt schließlich den Berg Cudi:
»Und (die Arche) kam auf dem Al-Dschudi zur Rast.« (Sure 11,44)
Hier sei allerdings angemerkt, dass es einige weitere Berge gibt, die Dschudi genannt werden, keiner davon ist jedoch mit einer ähnlich starken islamischen Tradition verbunden. Sprachlich sind die Begriffe »Cudi«, »Kardo«, »Gordyene«, »Kordyäer« und auch »Kurdistan« sehr eng miteinander verwandt und es ist ziemlich eindeutig, dass hier nur das Gebirgsmassiv gemeint sein kann, das nördlich der mesopotamischen Ebene jenseits des Tigris bis auf etwa 2100 m Höhe emporragt.
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Zu Teil 2: EXPEDITION zum Berg Cudi